Die Reaktion vieler deutscher Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz auf die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance und Auftritte anderer Vertreter der Administration Trump war leicht antizipierbar: Sie empörten sich. Weitgehend folgenlose Empörung gehört zu typischen deutschen Gesten seit vielen Jahren und sie mag den unverkennbaren Verlust an Respekt der Amerikaner gegenüber den Deutschen (und anderen Europäern) zum Teil erklären.
In München wurde den Amerikanern häufig ein selbstsüchtiges Verhalten vorgeworfen. Das Trittbrettfahrerverhalten, das europäische NATO-Mitglieder, und unter ihnen nicht zuletzt Deutschland, im Vertrauen auf den Schutz der Amerikaner mit viel zu niedrigen Ausgaben für Verteidigung jahrelang an den Tag gelegt haben, war nicht weniger selbstsüchtig. Jetzt ist der Jammer groß.
Zupackende Standardisierung
Während in politischen Kreisen zum wiederholten Mal in den vergangenen 15 Jahren von einem Weckruf für Europa die Rede war, beschäftigen sich Wirtschaftsvertreter längst mit der Zukunft der Militärindustrie. Sie blicken auf einen Rüstungsmarkt in der Europäischen Union, der vor wenigen Monaten im Draghi-Report eingehend analysiert worden ist.
Dieser Markt ist mit einem Umsatz von 135 Milliarden Euro (2022) und rund einer halben Million Beschäftigten zwar kleiner als der Markt in den Vereinigten Staaten, aber er ist alles andere als unbedeutend. Ein Exportanteil von 40 Prozent des Umsatzes belegt eine Wettbewerbsfähigkeit vieler Güter, aber es mangelt an einer Wertschätzung der heimischen Industrie durch die EU-Mitgliedstaaten. Rund drei Viertel von den Beschaffungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten gehen an außerhalb der Europäischen Union gelegene Militärunternehmen; der Löwenanteil dieser Mittel fließt an Unternehmen in den Vereinigten Staaten.
Daran ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Es kann für EU-Mitglieder politische Gründe geben, amerikanischen Unternehmen Aufträge zu erteilen. Zudem besitzen amerikanische Anbieter die leistungsfähigsten Produkte. Aber die EU-Mitglieder erschweren den transatlantischen Wettbewerb, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit vieler europäischer Unternehmen hemmen.
Viele Voraussetzungen für den Erfolg sind vorhanden
Der europäische Markt ist, angesichts des primär nationalen Charakters dieser Industrie historisch erklärbar, stark zersplittert. So erhielt die Ukraine von EU-Staaten zehn verschiedene Typen Haubitzen zum Verschießen von Granaten eines Kalibers, und von manchen dieser Typen existieren zusätzlich Varianten. Dieser Wirrwarr schwächt wegen des hohen Aufwands für Logistik die militärische Schlagkraft einer Armee, während sie dem Auftraggeber unnötig hohe Kosten aufbürdet.
Eine zupackende Standardisierung, die in den Vereinigten Staaten längst verwirklicht wurde, erlaubte die effizientere Herstellung größerer Stückzahlen. Diese Standardisierung könnte unterstützt werden durch mehr gemeinsame Aufträge von EU-Mitgliedstaaten und auch durch Zusammenschlüsse kleinerer Hersteller. Entgegen stehen dieser Stärkung der Militärindustrie vor allem nationale Eifersüchteleien, alle möglichen Regulierungen und in Einzelfällen auch eine Wettbewerbspolitik, die den globalen Charakter des Markts für Rüstungsgüter unterschätzt.
Viele Voraussetzungen für den Erfolg sind dennoch vorhanden; es existiert sowohl das Wissen als auch qualifiziertes Personal und mutige Unternehmer. Allein im vergangenen Jahr sind Start-up-Unternehmen in der europäischen Militärbranche rund 5 Milliarden Euro Eigenkapital zugeflossen. Chancen entstehen in der Industrie vor allem dank des Fortschritts in Technologie und Künstlicher Intelligenz. Aber auch hier erweist sich die europäische Regulierung von Künstlicher Intelligenz als hinderlich. Diskriminiert werden Militärunternehmen ferner zum Beispiel gegenüber als nachhaltig bezeichneten Unternehmen durch Vorschriften für Großanleger. Hierin drückt sich ein früherer Zeitgeist aus, der es gut meinte, dessen schädliche Nebenwirkungen allmählich das Tageslicht erblicken.
Einem gebändigten Markt von Fesseln zu befreien und private Finanzierungen durch eine überfällige Kapitalmarktunion zu erleichtern sind keine Initiativen, die Politikern Stimmen an der Wahlurne versprechen. Stattdessen reden sie über Schuldenregeln, ohne zu wissen, wie viel Geld für Modernisierung und Ausbau der Streitkräfte notwendig sein wird. Die Wahrscheinlichkeit ist leider nicht gering, dass auch der Münchner Weckruf in der Politik ungehört verhallt. Es ist höchste Zeit für Taten anstelle von Empörung.