Die Grünen sind enttäuscht und zornig, der Schock sitzt tief. Nach zehn Jahren, in denen sie mit der CDU in Hessen regiert haben, tauscht Ministerpräsident Boris Rhein sie gegen die SPD als Koalitionspartner ein. Über Wochen hatten sich Spitzen-Grüne zuversichtlich gezeigt, die Ankündigung des „ergebnisoffenen Sondierens“ durch die CDU eher zur Formsache erklärt. Nicht mehr als ein Versuch, das Verhandlungsergebnis zu verbessern.
Als der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Mathias Wagner, vor gut einer Woche in einem Zeitungsinterview bekräftigte, wie beweglich man auch beim Thema Migration sei, sollte damit wohl auch ein Signal an die CDU verbunden sein: An uns soll die Koalitionsbildung nicht scheitern.
An dieser Stelle unterscheiden sich die Erinnerungen an die Sondierungen. Während es von den Grünen heißt, dass sie einiges mitgetragen hätten, berichten Christdemokraten von Punkten, bei denen die Grünen sich kein bisschen bewegen wollten. Der Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir, bislang Vize-Ministerpräsident, sagt der F.A.Z.: „Wir hätten Verse von Ovid vortragen können, die CDU hat uns hingehalten und ihren Plan verfolgt, mit der SPD zu koalieren.“ Man hört ihm die Enttäuschung an. „Im Nachhinein sehen wir, was sich in den zunehmend wolkigen Forderungen der Christdemokraten zeigte: Wir hatten keine Chance.“
Zugleich sind Grüne verärgert, dass sie erst kurz vor der Bekanntgabe der Entscheidung informiert worden seien. Um 11 Uhr morgens, nachdem die Gremien der CDU Koalitionsverhandlungen mit der SPD zugestimmt hatten, traf Ministerpräsident Rhein die bisherigen Partner, die er kurz darauf ausdrücklich loben und ihnen danken sollte, um ihnen mitzuteilen, dass man künftig getrennte Wege gehen werde. Das habe man sich nicht leicht gemacht.
Ohne Not, so ein CDU-Politiker, beende man kein bislang funktionierendes Bündnis. „Die Grünen haben keine angemessene Antwort auf die Probleme unserer Zeit“, sagt ein Christdemokrat. Damit versucht man auch der Erzählung entgegen zu treten, Rhein habe ausschließlich aus strategischen Erwägungen den Wechsel zur SPD vollzogen.
Die Grünen-Basis als bedrohlicher Machtfaktor
Was die Vorbehalte innerhalb der CDU genährt haben dürfte, war die Festlegung der Grünen auf eine Urabstimmung über den Koalitionsvertrag, die in der Parteisatzung steht: Wohl und Wehe hätten in der Hand von knapp 10.000 hessischen Grünen gelegen. Selbst wenn sich also die Spitzengrünen mehr bewegt hätten, hätte die Basis beim emotional aufgeladenen Thema Migration am Ende immer noch Einspruch einlegen können. Rhein musste mit dem Risiko einer Hängepartie rechnen, an deren Ende er als Wahlgewinner auch als großer Verlierer hätte dastehen können.
Das Eckpunkte-Papier der Sondierungsgespräche mit der SPD nennt der Fraktionsvorsitzende der Grünen Mathias Wagner am Dienstag ein „Unterwerfungs-Papier“: „Es findet sich darin nahezu nichts, was bislang originär der SPD wichtig war“, so Wagner. Auch aus Sicht der CDU sei es extrem kurzsichtig zu glauben, dass man auf so einer Grundlage eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gründen könne.
Tarek Al-Wazir spricht von einer Fehleinschätzung, dass CDU und SPD die Gesellschaft wieder zusammenführen könnten. „Natürlich ist die Gesellschaft gespalten, von der Klima-Kleberin bis zum AfD-Wähler. Aber genau hier hätte Schwarz-Grün für einen breiteren gesellschaftlichen Konsens sorgen können, als CDU und SPD es können“, sagt Al-Wazir. Doch die CDU sei der Fehleinschätzung gefolgt, dass der eigene Stern heller leuchte, wenn man sich mit kleinen Lichtern umgebe.
Wie es bei den Grünen weitergeht, ist ungewiss. Es gibt mehrere profilierte Politiker, aber nur einen Posten als Fraktionsvorsitzender zu vergeben. Neben Al-Wazir zählt zu den Kandidaten der aktuelle Fraktionsvorsitzende Wagner, der unter anderen Umständen gerne ins Kabinett gewechselt wäre, oder aber die Ko-Spitzenkandidatin und Wissenschaftsministerin Angela Dorn. Aus der Fraktion heißt es, dass Anfang Dezember eine Klärung erfolgen könnte, für Januar ist ein Parteitag geplant. Auch eine Doppelspitze ist im Gespräch.
In Wiesbaden wird spekuliert, ob Al-Wazir bei nächster Gelegenheit nach Berlin wechseln könnte, wo die Grünen in der Ampel regieren. Über Regierungs- und Verwaltungserfahrung verfügt er schließlich. Die Ampel und das schlechte Image der Bundespartei waren es, die Al-Wazir nach einhelliger grüner Meinung auch die Chance auf den Posten des Ministerpräsidenten kostete. Al-Wazir bezeichnet es heute als politischen Fehler, dem Ministerpräsidenten-Wechsel von Volker Bouffier zu Rhein während der Legislaturperiode zugestimmt zu haben. Diesen Vertrauensvorschuss habe die CDU nicht zurückgezahlt.