Die Kernfusion gilt als Energiequelle der Zukunft und könnte die Energiegewinnung revolutionieren. Forschungsteams entwickeln die Projekte fortlaufend weiter. Jetzt gelingt ihnen ein weiterer Durchbruch.
Seit Jahrzehnten schon arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, die Kernfusion als sichere Alternative der Kernspaltung aufzubauen. Sie könnte, so die Hoffnung, die Kraft der Sonne instrumentalisieren und so die Energiegewinnung revolutionieren. Kohle, Gas und andere fossile Träger würden dadurch obsolet – und auch Flächen, die man derzeit für Solar- und Windkraft benötigt, ließen sich stark reduzieren. Noch steckt die Technologie jedoch in den Kinderschuhen.
Weltrekord bei Kernfusion im „Tokamak“
Der Tokamak gehört zu den verbreitetsten Fusionsreaktoren. Er zeichnet sich durch ein torusförmiges Design aus und nutzt starke magnetische Felder, um heißes Plasma in einem Vakuum einzuschließen und auf extrem hohe Temperaturen zu erhitzen. Das Ziel solcher Reaktoren ist es, die Bedingungen nachzubilden, die in Sternen ablaufen.
Die Kernfusion verspricht eine fast unerschöpfliche Energiequelle, denn: Sie basiert auf Wasserstoffisotopen wie Deuterium und Tritium, die aus Meerwasser gewonnen werden können. Tokamaks sind zentral für das internationale Forschungsprojekt International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER). Es zielt, wie viele vergleichbare Projekte, darauf ab, die technische und wirtschaftliche Machbarkeit von Fusionsenergie als saubere und nachhaltige Energiequelle zu demonstrieren.
Einen solchen Reaktor, der Wolfram Environment in Steady-state Tokamak (WEST), betreibt mitunter die French Alternative Energies and Atomic Energy Commission (CEA). Über einen Zeitraum von sechs Minuten gelang es Forschenden des U.S. Department of Energy (DOE) und des Princeton Plasma Physics Laboratory (PPPL) nun, dort eine Plasmatemperatur von 50 Millionen Grad Celsius (°C) zu erhalten – bei einem Energie-Input von 1,15 Gigajoule. Das entspricht 15 Prozent mehr Energie und der doppelten Dichte gegenüber dem bisherigen Rekord.
„Wunderbare Ergebnisse“
„Wir brauchen eine neue Energiequelle, die kontinuierlich und dauerhaft zur Verfügung stehen sollte“, erklärte Xavier Litaudon, CEA-Wissenschaftler und Vorsitzender der Coordination on International Challenges on Long duration Operation (CICLOP). Litaudon sagte, die Arbeit von PPPL bei WEST sei ein hervorragendes Beispiel. „Das sind wunderbare Ergebnisse. Wir haben ein stationäres Regime erreicht, obwohl wir uns aufgrund der Wolframwand in einer schwierigen Umgebung befinden.“ Die CICLOP ist Teil der International Atomic Energy Agency (IAEA).
Forschende des PPPL, das bereits seit geraumer Zeit mit dem WEST kooperiert, nutzten einen neuartigen Ansatz, um verschiedene Eigenschaften der Plasmastrahlung zu messen. Sie verwendeten dazu ein speziell zu diesem Zweck modifiziertes Röntgengerät des Schweizer Herstellers DECTRIS.
Die verantwortliche Röntgengruppe habe diese Instrumente für Tokomaks und andere Stellaratoren auf der ganzen Welt entwickelt, betonte Luis Delgado-Aparicio. Er ist der Leiter der PPPL-Abteilung für fortgeschrittene Projekte und leitender Wissenschaftler des Röntgendetektorprojekts.
Forscher nutzen sechs Haupttypen von Fusionsreaktoren
Weltweit setzen sich zahlreiche Projekte mit der Kernfusion auseinander. Einige der heute genutzten Konzepte beschrieben bereits Dänner und Knobloch im Rahmen ihrer 1971 veröffentlichten Arbeit für das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Sie verfolgen unterschiedliche Ansätze, steuern aber auf dasselbe Ziel zu: Eine nachhaltige und vor allem sichere Stromversorgung. Konkret nutzen Forschende dazu sechs Haupttypen von Fusionsreaktoren:
- Tokamak-Reaktoren : Dies ist der am weitesten verbreitete und erforschte Reaktortyp. Tokamaks verwenden starke magnetische Felder, um ein Plasma in einem torusförmigen (ringförmigen) Gefäß einzuschließen. Der bekannteste Tokamak ist der ITER.
- Stellaratoren : Ähnlich wie Tokamaks nutzen Stellaratoren magnetische Felder zur Eindämmung des Plasmas, aber mit einem anderen Aufbau und Anordnung der Magnetspulen, was zu einer komplexeren, dreidimensionalen Magnetfeldstruktur führt. Stellaratoren bieten potenziell stabilere Plasmaeinschlüsse als Tokamaks.
- Trägheitseinschlussfusion (Inertial Confinement Fusion, ICF) : Bei dieser Methode wird Kernbrennstoff mit Hochleistungslasern oder anderen Strahlungsquellen sehr schnell komprimiert und erhitzt, wodurch eine Fusion ausgelöst wird. Die National Ignition Facility (NIF) in den USA ist ein prominentes Beispiel für einen ICF-Reaktor.
- Magnetisierte Zielzündung (Magnetized Target Fusion, MTF) : Dieser Typ kombiniert Elemente des magnetischen Einschlusses und der Trägheitseinschlussfusion. Ein Plasma wird vorerst magnetisch eingeschlossen und dann komprimiert, um die Fusion zu erreichen.
- Reversed-Field Pinch (RFP) : Ein weiterer Ansatz für magnetischen Plasmaeinschluss. Hierbei wird das Plasma in einer Weise eingeschlossen, dass das Magnetfeld umgekehrt wird, was zu einem stabileren Plasmaeinschluss führen kann.
- Sphärischer Tokamak : Eine Variation des traditionellen Tokamak-Designs, bei der das Torusgefäß kompakter und nahezu kugelförmig ist, was zu effizienteren Plasmaverhältnissen führen kann.
Mit jedem neuen Rekord kommen die Forschenden ihrem größeren Ziel näher
Forschungsteams entwickeln all diese Projekte fortlaufend weiter. So ist auch der „WEST“ lediglich die nächste Stufe des ursprünglichen Tore Supra. Damals bestand das innere des Reaktors aus Grafitfliesen und nutzte Kohlenstoff anstelle des heute eingesetzten Wolframs.
„Die Wolfram-Wand-Umgebung ist viel anspruchsvoller als die Verwendung von Kohlenstoff“, so Delgado-Aparicio. „Das ist einfach der Unterschied zwischen dem Versuch, das Kätzchen zu Hause zu fangen, und dem Versuch, den wildesten Löwen zu streicheln.“ Allerdings habe Wolfram den Vorteil, dass es viel weniger Brennstoff zurückhalte – eine Eigenschaft, die gerade für große Reaktoren nicht akzeptabel sei.
Während der neue Rekordbruch von sechs Minuten noch weit davon entfernt ist, einen Tokamak ununterbrochen zu betreiben, ist er doch ein wichtiger Schritt. Denn mit jedem neuen Rekord kommen die Forschenden ihrem größeren Ziel näher. Schafft der Reaktor die eine Schwelle, ist die nächste nicht fern, für die nächste gilt dasselbe. Sollte es ihnen gelingen, die Kernfusion 24 Stunden lang aufrecht zu erhalten, könnte sie sich als die Energiequelle der Zukunft durchsetzen.
Quellen: eigene Recherche; Princeton Plasma Physics Laboratory; „Mögliche Typen des Fusionsreaktors, reaktorphysikalische und -technische Probleme bei seiner Entwicklung“ (MPG.PuRe, 1971)
Von Philipp Rall