Das Riesenrad auf dem Rummelplatz der Sakhir-Bahn von Bahrain stammt aus Wutha-Farnroda. Das Fahrgeschäft von Thüringen nach Arabien zu verschiffen, beanspruchte sechs Wochen. Wer zusteigt, dem offenbart sich in 38 Metern Höhe ein prächtiger Rundumblick über die Piste.
Doch da ist jemand in der Formel 1, der hatte in der angebrochenen Wüstennacht am Samstag von allen abermals den beneidenswertesten Ausblick: Max Verstappen, der Weltmeister von Red Bull, thronte wieder ganz oben auf dem Podium, nachdem er die erste Tour des Jahres gewonnen hatte.
Teamkollege Sergio Pérez, der nach 57 Runden (308 Kilometern) Zweiter wurde, und der drittplatzierte Carlos Sainz auf Ferrari waren chancenlos gewesen, durften nun aber immerhin mit ihm jubeln. Der Emmericher Nico Hülkenberg wurde trotz starker Qualifikation mit Rundenrückstand auf Rang 16 notiert. „Einfach herrlich“, funkte Verstappen im Ziel, „was für ein tolles Rennen. Absolut phantastisch“.
Horner hält Händchen
Am Freitag war Verstappen zur ersten Pole Position des Jahres gerast, den ohrenbetäubenden Störgeräuschen um Christian Horner davon. Vor dem Rennen spazierte der Teamchef mit Ehefrau Geri Halliwell durchs Fahrerlager, beide lächelten breit und hielten Händchen.
Eine Inszenierung, die nicht helfen wird, die Affäre vergessen zu machen, die Horner umgibt. Zuletzt wurden Chatnachrichten öffentlich, die das in Rede stehende grenzüberschreitende Verhalten gegenüber einer Mitarbeiterin belegen sollen. Die Echtheit ist nicht bestätigt. Dann, in der Startaufstellung, sprach Horner mit Chalerm Yoovidhya, dem thailändischen Mehrheitseigentümer des Red-Bull-Konzerns. Yoovidhya gilt als wichtigster Unterstützer Horners. Nun stärkte er ihm demonstrativ den Rücken.
Leclerc greift an, Hülkenberg crasht
Nachdem ein Jet der staatlichen Fluglinie tief über den Rennplatz gedüst und das Flutlicht hochgedreht war, gab der Rennleiter den Start frei, konzentrierte sich für den Moment alles auf den Sport. Verstappen, der kurz zuvor noch mit Fußballstar Neymar geplauscht hatte, verzichtete auf einen taktischen Vorteil. Fabrikneuen weichen Reifen, die am besten auf dem Asphalt kleben, zog er einen gebrauchten Satz Pirellis vor.
Sein Rivale gleich hinter ihm, Charles Leclerc, tat es ihm gleich. Er hatte keine neuen Gummis mehr übrig. „Normalerweise ist unser Auto gut im Rennen“, sagte Verstappen voraus. „Aber im Qualifying ging es eng zu, das erwarte ich auch heute“, so der Weltmeister. Typisch Verstappen. Eng ging es zu, da hatte er recht: weit, weit hinter ihm.
Eingangs der ersten Bremszone, die Funken sprühten, wagte Leclerc sogleich den Angriff. Aussichtslos auf der Außenbahn, Verstappen blieb vorne – und zog davon. „Tot ziens“, sagen die Niederländer: Mach’s gut. Drama derweil bei Nico Hülkenberg: „Ich habe einen Schaden am Frontflügel“, meldete der Rheinländer, Gekniffener einer Dreierkollision mit Lance Stroll und Valtteri Bottas. Die Unfallgegner hielten sich schadlos, Hülkenberg ließ eine neue Nase montieren und jagte dem Feld abgeschlagen hinterher. Die Hoffnung, wertvolle Punkte zu sammeln, war zerschlagen. Sein Stallgefährte Kevin Magnussen wurde Zwölfter.
Auch Leclerc steckte in Schwierigkeiten, verbremste sich ein ums andere Mal. Die Vorderräder blockierten. Er musste Russell ziehen lassen, Pérez, und, nach hartem Kampf, auch seinen Teamkollegen Carlos Sainz. Von Rang zwei auf fünf in zehn Runden. Ein Fehlstart. Die Garage reagierte und rief ihn zum Service. An der Spitze war Verstappen da bereits auf acht Sekunden enteilt, fuhr Grand-Prix-Sieg Numero 55 entgegen.
„Das ist verdammt gefährlich“
Nach 17 Runden über die reifenzehrende Piste, zum 20. Mal fand der Grand Prix statt, hatten alle ihre weichen Gummis gegen harte Walzen getauscht. Auf der Piste reges Treiben: Pérez und Sainz rückten vor auf zwei und drei. Russell, den die heiß laufende Antriebseinheit einbremste, fiel zurück. Bei Leclerc brachte der Service keine Besserung: „Mein Auto zieht voll nach rechts, wenn ich bremse“, funkte Leclerc. „So kann ich nicht kämpfen, das ist verdammt gefährlich.“
Die Box gelobte, es zu prüfen, das Ergebnis blieb im Verborgenen. Leclerc wurde am Ende Vierter und Ferrari ist wie erwartet die zweite Kraft hinter Red Bull. Mit deutlichem Abstand. Verstappen blieb auch nach dem Service vorne, er kreiste pro Runde mehr als eine Sekunde schneller als der Rest. Welch Machtdemonstration.
Lewis Hamilton strauchelte im ersten Wettrennen nach Bekanntgabe seines Ferrari-Wechsels im nächsten Jahr. „Mein Sitz ist kaputt“, sagte der Rekordweltmeister. Bei Fliehkräften von bis zu 5G ein ernsthaftes wie unangenehmes Problem. Allzu schlimm konnte es aber nicht sein, Hamilton setzte seinem Dauerlauf weitgehend unbehelligt fort, von einem folgenlosen Scharmützel mit Oscar Piastri im McLaren einmal abgesehen. Im Ziel war Hamilton Siebter.
Red Bull wieder Extraklasse
Verstappens zweiter Boxenstopp läutete das letzte Drittel ein. Geht es auch drunter und drüber im Red-Bull-Konzern und seinem Weltmeisterteam. Doch die Kombination aus dem RB20, so lautet die Typennummer des neuen Rennautos, und Verstappen, der es wie kein anderer zu lenken weiß, ist auch in diesem Jahr Extraklasse. Der Niederländer, ohne das ganze Potential des Fahrzeugs abrufen, setzte mühelos die schnellste Runde und gewann so noch einen Extrapunkt. Wahrscheinlich summte er währenddessen unter dem Helm längst die Nationalhymne.
Auch dahinter waren die Positionen bezogen, die Abstände manifestiert. Pérez fehlten schließlich mehr als 20 Sekunden auf den Sieger. Das reichte für einen ungefährdeten zweiten Platz, drei Sekunden vor Sainz. George Russell war am Ende Fünfter, Fernando Alonso Neunter.
Der große Zeiger auf der Jahresuhr der Formel 1 dreht sich derweil weiter, in diesem Jahr beinahe pausenlos. Das zweite von 24 Rennen steht schon nächste Woche in Saudi-Arabien an. Auch die Tour durch Dschidda findet wegen des islamischen Fastenmonats Ramadan samstags statt.