Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor hat die EU zu einem „Kurswechsel“ in ihrer Politik gegenüber Iran aufgefordert. Nach dem Großangriff auf sein Land müsse Europa „klare Kante zeigen“, sagte der Botschafter der „Rheinischen Post“. „Zum Beispiel, indem die iranische Revolutionsgarde als Terrororganisation gelistet wird. Die Revolutionsgarde verbreitet Terror und Gewalt im Nahen Osten und darüber hinaus“, sagte Prosor. „Europa ist am Zug. Wir haben gesehen, dass es nicht gelungen ist, die Gefahren des Iran einzudämmen. Wir brauchen einen Kurswechsel.“ Die Revolutionsgarden sind die Irans Elitestreitmacht und einflussreicher als die reguläre Armee des Landes.
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht einen möglichen Ansatz für die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation. Es gebe ein Urteil zu der Frage der Aktivitäten dieser Organisation, sagte Scholz am Mittwochabend am Rande des EU-Gipfels. Dies könnte ein Ausgangspunkt für die Listung der Revolutionsgarden sein. Eine juristische Prüfung in der EU zu dem Thema laufe derzeit.
EU und UN drängen auf Zurückhaltung
Israel behält sich eine eigene Entscheidung über das weitere Vorgehen vor, während engste Verbündete nach dem iranischen Großangriff zu Verzicht auf eine harte Gegenreaktion drängen. Die EU rief sowohl Israel als auch Iran auf, von weiteren gegenseitigen Angriffen abzusehen. Man fordere alle Parteien nachdrücklich auf, äußerste Zurückhaltung zu üben und keine Maßnahmen zu ergreifen, die die Spannungen in der Region verstärken könnten, hieß es in einer in der Nacht zu diesem Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel veröffentlichten Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief angesichts „gefährlicher Rhetorik in der Region“ erneut zu „größter Zurückhaltung“ auf, wie sein Sprecher sagte.
Israels Kriegskabinett will der israelischen Nachrichtenseite Ynet zufolge diesen Donnerstag über eine Antwort auf den iranischen Angriff, die festgefahrenen Verhandlungen über einen Geisel-Deal im Gaza-Krieg sowie den verschärften Konflikt mit der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon beraten.
Im Anschluss an Krisengespräche mit Deutschland und Großbritannien hatte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu am Mittwoch gesagt, er schätze zwar „Vorschläge und Ratschläge“. Israel werde jedoch seine Entscheidungen selbst treffen und „alles Notwendige tun, um sich selbst zu verteidigen“, sagte Netanjahu nach Treffen mit Außenministerin Annalena Baerbock und dem britischen Außenminister David Cameron. Vor ihrem Weiterflug zum G-7-Außenministertreffen in Capri mahnte Baerbock Iran und Israel zu „maximaler Zurückhaltung“. Sie warnte: „Mit einer Eskalationsspirale wäre niemandem gedient.“ Die Außenminister der Gruppe sieben wirtschaftsstarker Demokratien beraten an diesem Donnerstag angesichts eines drohenden Flächenbrands über weitere Sanktionen gegen Iran.
Iran erneuert Warnung
Auslöser des iranischen Angriffs auf Israel in der Nacht zum Sonntag mit Hunderten von Drohnen und Raketen war ein mutmaßlich israelischer Angriff auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus gewesen. Dabei waren zu Beginn des Monats unter anderem zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden getötet worden. Israel hat bereits Vergeltung für Irans Angriff angekündigt.
Irans Präsident Ebrahim Raisi erneuerte wiederum am Mittwoch seine Warnung vor einem Gegenschlag. Falls Israel auch nur die geringste „Aggression“ ausüben sollte, wäre die iranische Antwort „verheerend“ und die Israelis würden es bitter bereuen, sagte Raisi laut der Nachrichtenagentur Tasnim.
Konflikt mit Hizbullah verschärft sich
Israels Luftwaffe griff unterdessen nach einem Angriff aus dem Libanon mit zahlreichen Verletzten nach eigenen Angaben vom Mittwochabend militärische Infrastruktur der proiranischen Hizbullah-Miliz im Norden des Libanons an. Die Anlage im Raum Baalbek werde vom Luftabwehrsystem der Hizbullah genutzt, hieß es.
Bei einem Angriff aus dem Libanon waren im Norden Israels mindestens 14 Soldaten verletzt worden, wie das israelische Militär zuvor mitteilte. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf eine behandelnde Klinik, es seien 18 Menschen verletzt worden. Laut der „Times of Israel“ sollen unter den Opfern vier Zivilisten sein. Der von der proiranischen Schiitenmiliz im Libanon kontrollierte Fernsehsender Al-Manar berichtete, es sei ein Gebäude beschossen worden, in dem sich israelische Soldaten aufgehalten hätten. Es habe Opfer unter ihnen gegeben.
US-Abstimmung über Israel-Hilfen am Wochenende
Unterdessen steht nach monatelanger Blockade eines umfangreichen US-Hilfspakets für die Ukraine, Israel und den Indopazifik eine Abstimmung im US-Repräsentantenhaus wahrscheinlich kurz bevor. Der Vorsitzende der Kammer, Mike Johnson, sagte, er erwarte ein Votum am Samstagabend (Ortszeit). Der mächtige Kontrollausschuss veröffentlichte am Mittwoch die Gesetzestexte, über die nun abgestimmt werden soll.
Für Israel sind rund 26 Milliarden Dollar (24 Mrd Euro) vorgesehen. Dazu zählen vier Milliarden Dollar zur Aufstockung der Raketenabwehrsysteme Iron Dome und David’s Sling. Im Falle einer Zustimmung wäre der Senat am Zug. Es gilt als wahrscheinlich, dass die von den Demokraten geführte Kammer das Vorhaben unterstützt.
Qatar will Rolle als Vermittler überdenken
Das Golfemirat Qatar will seine Rolle als Vermittler im Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas überdenken. Qatars Rolle sei in gewissem Maße für politische Zwecke missbraucht worden, sagte Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani am Mittwoch in der Hauptstadt Doha. Wen und was er dabei konkret meinte, führte er nicht aus. „Dies hat Katar dazu veranlasst, seine Rolle völlig neu zu bewerten und wir befinden uns derzeit in dieser Phase“, sagte Al Thani.
Seit Monaten laufen unter Vermittlung Qatars, der USA und Ägyptens Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln, die bei dem Überfall islamistischer Terroristen auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres in den Gazastreifen verschleppt worden waren. Ein Durchbruch bei den Verhandlungen ist derzeit jedoch nicht absehbar.
Erstmals Hilfsgüter über Hafen von Aschdod abgewickelt
Unterdessen wurden erstmals seit der Öffnung des Hafens von Aschdod in Südisrael Hilfslieferungen für den Gazastreifen dort abgewickelt. Acht Transporter mit Mehl seien kontrolliert und dann in das Küstengebiet gebracht worden, teilten Israels Armee sowie die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde am Mittwochabend mit.
Die Lkw des Welternährungsprogramms (WFP) seien allerdings über den Grenzübergang Kerem Schalom im Süden in das abgeriegelte Küstengebiet gefahren – nicht über Erez im Norden des Gazastreifens, dessen Öffnung Israel ebenfalls jüngst angekündigt hatte. Es gab am Mittwoch keine Angaben, wann das passieren könnte. Kerem Schalom wird schon länger für Hilfslieferungen genutzt. In Teilen des abgeriegelten Gazastreifens, vor allem im Norden, droht eine Hungersnot.