Deutschland und Frankreich haben sich nach monatelangem Ringen auf eine Reform der europäischen Schuldenregeln verständigt. Es liege eine Einigung zu „100 Prozent“ vor, erklärte Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Dienstagabend nach einem Treffen mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in Paris im vormals Twitter genannten Onlinedienst X. Lindner (FDP) schrieb auf englisch bei X, Le Maire und er seien sich bei „Schlüsselelementen“ des sogenannten Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung einig.
Nach Angaben aus Regierungskreisen beinhaltet der Vorschlag wirksamere Sicherheitslinien für den Abbau von Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung als bisher. Zugleich sollten Investitionen und Strukturreformen der Mitgliedsstaaten besser berücksichtigt werden.
Le Maire: „Ausgezeichnete Nachricht für Europa“
Die Zeit drängt: Am Mittwoch wollen sich alle 27 EU-Finanzminister nach Möglichkeit auf die lange geplante Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verständigen, dafür ist eine Videokonferenz angesetzt. Dafür fehlte bisher aber die Grundsatzeinigung zwischen Deutschland und Frankreich. Nach einer Brüsseler Nachtsitzung vor gut zehn Tagen sprach Lindner von „92 Prozent Übereinstimmung“, Le Maire bezifferte sie auf 95 Prozent.
Am Dienstagabend schließlich schrieb Lindner bei X von einer „Chance für eine politische Einigung“ bei dem Treffen am Mittwoch. Die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich sei eine „ausgezeichnete Nachricht für Europa, die es ermöglichen wird, gesunde öffentliche Finanzen und Investitionen in die Zukunft zu gewährleisten“, erklärte seinerseits Le Maire.
Vor dem Pariser Treffen waren nach Angaben Lindners noch letzte Punkte offen. Deutschland wolle „Sicherheitslinien, dass es mit jedem Jahr Fortschritte gibt bei der Reduzierung des Defizits und beim Abbau der Schuldenquote“, bekräftigte er.
Die bisherigen EU-Schuldenregeln, die als überholt und unrealistisch gelten, sind seit 2020 ausgesetzt – zunächst wegen der Corona-Pandemie, später wegen der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ab 2024 sollen sie wieder greifen, weswegen eine Reform drängt. Erstmals zur Anwendung kämen die neuen Regeln aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2024, wenn die Budgetpläne für 2025 von Brüssel bewertet werden müssen.
Maastricht-Kriterien sollen unverändert bleiben
In den vergangenen Jahren sind die Schuldenstände in Europa deutlich gestiegen. Eigentlich gilt in der EU eine Obergrenze beim Haushaltsdefizit von drei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung und 60 Prozent beim gesamten Schuldenstand. Gegen diese Vorgaben wurde in der Vergangenheit aber immer wieder verstoßen, ohne dass dies nennenswerte Konsequenzen gehabt hätte. Strittig war lange vor allem die Frage, wie schnell hoch verschuldete Länder sich den Vorgaben annähern müssen. Besonders südeuropäische EU-Länder fürchten, dass notwendige Investitionen ausbleiben, wenn die Regeln zu streng sind. Frankreich rechnet beispielsweise nicht vor 2027 damit, die Neuverschuldung wieder unter drei Prozent zu bringen und hatte immer wieder betont, mehr Geld in Zukunftstechnologien stecken zu wollen.
Lindner sagte, es werde bei hoch verschuldeten EU-Staaten jedes Jahr Verbesserungen bei den Defiziten und Gesamtschulden geben müssen. „Wir sprechen jetzt noch über die exakten Zahlen“, hatte er vor dem Treffen mit Le Maire gesagt. Es werde aber Sicherheitsnetze geben. Nach dem Treffen schrieb er auf X, es gebe auch Anreize für Reformen und Investitionen.
Bei der Reform sollen die sogenannten Maastricht-Kriterien unverändert bleiben: eine jährliche Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent für jeden Staat.