Unablässig hatte es geregnet. Flüsse, die vor Kurzem noch ausgetrocknet waren, schwollen zu reißenden Strömen an, die Fluten überspülten die Savanne, verschlangen Hütten und Vieh, zerstörten Straßen. Tausende Menschen flohen vor den braunen Wassermassen in höher gelegene Gebiete, nicht allen gelang es. Ein 15 Jahre altes Mädchen, das Ziegen hütete, wurde fortgerissen, ebenso ein alter Mann und ein sechsjähriges Kind.
Das zyklische Wetterphänomen El Niño hat im November Teile der nordkenianischen Region Marsabit verwüstet. Dabei war dort nach jahrelanger Dürre nichts sehnlicher erwartet worden als der Niederschlag, den „das Christkind“ bringen sollte. Dass sich Trocken- und Regenzeiten abwechseln, ist in den Ländern am Horn von Afrika nichts Neues, aber der menschengemachte Klimawandel verstärkt die Extreme des Wetters.
Ein paar Wochen bevor die Fluten kommen, sitzt die Dorfgemeinschaft von Tirgamo, einer Siedlung in der Nähe der Kleinstadt Laisamis, unter einer stattlichen Akazie. Ihre Krone wirft nur einen schütteren Schatten, denn sie trägt längst kein Laub mehr, in der sengenden Äquatorsonne glitzern die silbernen Dornen an den Ästen. Im weiten Umkreis um die Akazie hat die jahrelange Dürre nur noch roten Staub hinterlassen. „Wo wir sitzen, war einmal ein grünes Feld“, sagt eine Frau in der Tracht der Samburu. Um den Hals trägt sie einen bunten Perlenkragen, doch ihre Schultern sind schmal und ihre Wangen eingefallen.
Die Samburu leben ähnlich wie die Massai als halbnomadische Viehhirten. Die jungen Männer ziehen mit den Rinderherden durch die Savanne, die Familien ernähren sich hauptsächlich von der Milch und vom Blut der Tiere, bei besonderen Anlässen wird auch mal ein Rind geschlachtet. Die extensive Weidewirtschaft, der Pastoralismus, hat über Jahrhunderte funktioniert, kommt angesichts von gesellschaftlicher Modernisierung und Klimawandel aber zunehmend unter Druck. Das ausgelaugte Weideland reicht nicht mehr aus für die riesigen Viehherden, in den zurückliegenden Dürrejahren sind Hunderttausende Rinder, Schafe und Ziegen verendet.
Sobald das Wasser kommt, sprießen die Blätter wieder
Es muss sich etwas ändern, sagt Jarso James Galgallo. Er leitet das lokale Team von World Vision in Marsabit. Die weltweit tätige Hilfsorganisation, die ihren Deutschland-Sitz in Friedrichsdorf bei Frankfurt hat, ist in diesem Jahr einer der zwei Partner von „F.A.Z.-Leser helfen“. Die Spenden, um die diese Zeitung bittet, sollen den Menschen im Norden Kenias helfen, eine nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft zu entwickeln. Kein Mann müsse – wie einst sein eigener Vater – Hunderte Rinder halten, sagt Galgallo. Zu einer vergleichsweise bescheidenen Viehhaltung müsse der Anbau von trockenheitsresistenten Pflanzen kommen, außerdem weitere Einkommensquellen etwa aus der Imkerei. Und vor allem müssten die Kinder in die Schule gehen. Denn nur so eröffneten sich langfristige Perspektiven.