Ein Russlandfachmann war Hubert Seipel nie. Er spricht nicht einmal Russisch. Aber der exklusive Zugang des Journalisten zu Wladimir Putin verschaffte ihm Reputation und große Resonanz in Deutschland. Millionen Bundesbürger schauten seine Dokumentationen über Putin, hörten ihm in Talkshows zu, Zehntausende lasen seine Bücher. Seipel konnte Putin wochenlang begleiten, auf der Rotwildjagd in Sibirien oder in dessen Limousine in Moskau, ihn stundenlang befragen.
Dass seine Bücher auch auf Russisch erschienen, dass Putin 2016 selbst zur Vorstellung der russischen Ausgabe in Moskau kam und sich lächelnd ein Exemplar von dem Deutschen signieren ließ, zeigte schon: Seipel war ein Instrument des Kremls, weil er dessen Sicht auf die Welt in seinen Filmen und Büchern propagierte. „Der Kreml feiert Hubert Seipel“, schrieb der Russland-Korrespondent der F.A.Z. damals dazu.
Nun wurde bekannt, dass Seipel für sein zweites, 2021 erschienenes Buch über Putin 600.000 Euro aus Russland bekommen hat, gezahlt mithilfe eines Firmengeflechts durch den Putin-nahen Oligarchen Alexej Mordaschow. Vieles deute darauf hin, so schreibt der „Spiegel“, der zusammen mit dem ZDF die Geschichte in Deutschland enthüllte, dass der für den NDR arbeitende Journalist auch für sein erstes Putin-Buch, das 2015 auf Deutsch erschien, eine entsprechende Zahlung aus Kreml-Kreisen bekommen hat.
War Seipel eine Ausnahme? In einer Hinsicht sicher nicht. Denn nicht nur in seinem Fall waren die öffentlich-rechtlichen Sender nur allzu bereit, Kreml-Apologeten zur besten Sendezeit russische Propaganda verbreiten zu lassen. Dabei fragten sie sich offensichtlich nicht, ob das den Standards eines kritischen Journalismus genügte. Das geschah in der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier regelmäßig und ganz offensichtlich durchaus unter politischen Vorzeichen. Steinmeiers wohlwollende Formel vom „Wandel durch Verflechtung“ mit Russland schlug sich in der Behandlung des Putin-Regimes in den deutschen Talkshows nieder. Sie kommen immerhin auf zehn bis 15 Prozent Marktanteile, werden also von Millionen gesehen.
Am häufigsten zu Gast: Ein Lobbyist für Gazprom
Ein Beispiel für die Verflechtung: Ende 2006 durfte der russische Botschafter Wladimir Kotenjow, ein Scharfmacher Putin’scher Schule, am Sonntagabend seine Sicht über die angeblich in Deutschland grassierende Russophobie in der Talkshow „Sabine Christiansen“ verbreiten. Der russische Oppositionelle Garri Kasparow wurde aus der Sendung wieder ausgeladen, weil Kotenjow sonst nicht gekommen wäre. Dafür war „Russland-Expertin“ Gabriele Krone-Schmalz in der Sendung dabei, die mit ihren Büchern Putin und die Kreml-Politik jahrelang verharmlost hat. Talkshow-Moderatorin Christiansen war regelmäßig Gast bei den rauschenden Feiern Kotenjows, die der sogenannte Party-Botschafter in der russischen Botschaft Unter den Linden veranstaltete und bei der die Berliner Politprominenz zahlreich erschien.
Auch nach dem Völkerrechtsbruch durch die Krim-Annexion 2014 und dem von Moskau angezettelten Krieg im Donbass dominierten weiter die Talkshow-Gäste im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die sich unkritisch gegenüber Putins Politik zeigten oder sogar direkt vom Kreml bezahlt wurden. Dabei wurde der Anschein erweckt, es handele sich um unabhängige Journalisten oder Experten. Der Publizist Marcus Welsch hat kürzlich für die Jahre seit Ende 2013, als der Euromaidan in der Ukraine stattfand, die Talkshows von ARD, ZDF und Phoenix ausgewertet, in denen es um Russland, die Ukraine oder um russische Außenpolitik ging.
Sein Befund, veröffentlicht in den „Russland-Analysen“, ist erschreckend: Am häufigsten eingeladen wurden bis 2022 prorussische Akteure. Auf Platz eins kommt der Gazprom-Lobbyist Alexander Rahr, der bis zu seinem Wechsel in die Wirtschaft 2012 achtzehn Jahre lang für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik tätig war. Rahr hatte schon 2000 ein freundliches Buch über Putin geschrieben, doch dauerte es bis 2019, bis er den Orden der Freundschaft aus Russland erhielt.
Heute tummeln sich die Freunde des Kremls bei Youtube
Auf den Plätzen zwei und drei folgen Dmitrij Tultschinskij, ein Journalist der staatlichen Agentur Ria Nowosti, und Harald Kujat, Luftwaffengeneral a. D., ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr, verdingte sich schon 2016 im Aufsichtsrat eines angeblichen russischen Forschungsinstituts, das der Oligarch Wladimir Jakunin in Berlin gegründet hat. Kujat sagte damals, dass der Thinktank des Oligarchen „in einer offenen pluralistischen Gesellschaft zur Meinungsbildung beitragen kann“. Abschreckung sei im Verhältnis zu Russland falsch, Entspannung hingegen richtig, so Kujat. Die Ursache für den Konflikt Russlands mit der Ukraine sah er nicht beim Aggressor in Moskau, sondern vor allem bei der NATO. Auch heute sagt er etwa, die Ukraine kämpfe für die geopolitischen Interessen der Vereinigten Staaten.
Zu den Top Ten der Talkshows mit einem Bezug zu Russland und der Ukraine bis 2022 gehören auch Hubert Seipel und die erwähnte Gabriele Krone-Schmalz, die – rechnet man die Phoenix-Runden mit geringerer Reichweite heraus – sogar zu den ersten drei der am meisten eingeladenen Studiogäste zählte. Ihre Klage gegen die Münchner Osteuropa-Historikerin Franziska Davies, die Krone-Schmalz Desinformation über Russland und die Ukraine nachgewiesen hat, zog die frühere ARD-Korrespondentin unlängst zurück.
Auch der Propagandist Ivan Rodionov war nach der Krim-Annexion häufiger Gast in den Talkshows der Sender. Der rhetorisch gewandte Russe war jahrelang Chefredakteur von RT Deutsch, dem Ableger des russischen Propagandasenders, der früher Russia Today hieß. Heute verbreitet Rodionov seine Propaganda auf einem Youtube-Kanal namens Infrarot, auf dem sich ehemalige Mitarbeiter des mittlerweile in der EU verbotenen Senders RT tummeln.