Der Traum hielt bis zum siebten Wettkampfsprung. Als Andreas Wellinger beim großen Finale in Bischofshofen in die Anlaufspur ging, kurze Zeit später abhob und bei 132 Meter zur Landung kam, war die Hoffnung noch da. Doch als dann Ryoyou Kobayashi als Letzter aller 50 Springer zu seinem Konter ansetzte, gab es keine Zweifel mehr: Der Japaner, als Gesamtführender der Vierschanzentournee von Innsbruck in den Pongau gereist, ließ sich nach seinem Sprung auf 137 Meter den Titel nicht mehr nehmen. Sein zweiter Versuch führte ihn sogar auf 139 Meter.
Wieder also heißt der Gewinner der Vierschanzentournee Kobayashi. Für den Ästheten der Lüfte ist es nach seinem Grand-Slam-Coup 2019 sowie dem Sieg 2022 schon der dritte Triumph bei der prestigeträchtigen deutsch-österreichischen Traditionsveranstaltung. Andreas Wellinger musste sich im beständig-leichten Schneetreiben von Bischofshofen mit Platz zwei begnügen.
„In Summe bin ich stolz“
Am Ende eines langen Interviewmarathons, den der deutsche Vorspringer nach dem Tourneefinale zu absolvieren hatte, fühlte er sich nach dieser 72. Auflage der Vierschanzentournee „hin- und hergerissen“, wie er in der Mixed-Zone des mit 14.300 Zuschauern bestens besuchten Skisprungstadions sagte. „In Summe bin ich stolz“, sagte der 28 Jahre Olympiasieger. Wieder hatte es die deutsche Mannschaft versucht, 22 Jahre nach dem großen Triumph von Sven Hannawald den Goldenen Adler zu gewinnen. Wieder hat es nicht geklappt.
„Ryoyu war einfach besser“, sagte Wellinger fair. „Ich bin zehn Tage lang auf hohem Niveau Ski gesprungen und habe mir kaum Fehler erlaubt. Natürlich habe ich auch mit dem Sieg geliebäugelt.“ Am Tourneeerfolg des Japaners aber gab es nichts zu rütteln. „Wir haben zwölf von 32 Weltcups hinter uns“, sagte Wellinger. „Da wird noch viel passieren, und ganz bestimmt werde ich auch wieder auf dem Podest ganz oben stehen.“
Kobayashis neuerlicher Coup ist ein ganz besonderer. Bei allen vier Springen der Tournee ist er Zweiter geworden. In der Gesamtaddition hat ihm dies die Spitzenposition eingebracht. Spitze beim Dreikönigsspringen im Pongau war auch Stefan Kraft. Er schaffte es endlich, nach vielen vergeblichen Anläufen sein Heimspringen mit Weiten von 136,5 und 140 Meter zu gewinnen. „Einfach phantastisch“, sagte der Weltrekordler im Skifliegen. „Und dann auch noch vor diesem Publikum.“
Kraft sorgte für Hochgefühle bei den begeisterten österreichischen Zuschauern, Kobayashi schaffte derweil das Kunststück, ein Stück weit auf den Spuren von Janne Ahonen zu wandeln. Der Finne war 1999 der letzte Tourneesieger, der ohne Tagessieg triumphiert und den Goldenen Adler gewonnen hatte. Dritter beim Tourneefinale wurde Garmisch-Partenkirchen-Sieger Anze Lanisek.
Die Begeisterung in Bischofshofen ist schon am Vormittag grenzenlos, als sich die ersten polnischen Fans auf den Weg hoch zur Schanze machen. In der Bischofshofener Innenstadt ertönt laute Musik aus den Lautsprechern. Polizisten treffen sich zu einer Lagebesprechung – und die Skisprungfreunde eben vor allem aus Polen ergattern sich einen Spitzenplatz. Zwei Stunden lassen müssen sie noch vor Absperrgittern ausharren. Um 13 Uhr wird der Einlass zur Schanze geöffnet. Dreieinhalb Stunden bevor es rund um den Bakken überhaupt ernsthaft los geht.