Wie in Deutschland prägt Hochwasser in den Niederlanden seit Tagen viele Landschaften. Am Donnerstag erreichte der Rhein bei Lobith, wo er von Deutschland aus einströmt, nach Einschätzung der Behörden den höchsten Wasserstand, mit vierzehneinhalb Metern über Amsterdamer Normalnull (NAP). Dort dürfte er sich stabilisieren, und die Lage sich nun entspannen.
Viel Beachtung in den Medien bekommt der Nebenfluss IJssel, wo etwa die Stadt Deventer die Ufermauern mit Sandsäcken verstärkte. Der Fluss Overijsselse Vecht erreichte Rekordhöhe, wie die Wasserschaft (Waterschap) Vechtstromen meldete, eine der 21 regionalen Verwaltungseinheiten, die Deiche und Schleusen verwalten, Wasserpegel erfassen und regeln.
Insgesamt scheint das Hochwasser glimpflich abzulaufen – mit örtlichen Ausnahmen: Das historisch bedeutende Schloss Loevestein, am Zusammenfluss von Maas und Waal gelegen, kündigte an, am Donnerstag zu schließen. „Vorläufig“ bestehe keine Gefahr für den Bau, hieß es von dem Schloss. „Verwalter Tim Schrijver und seine Frau Renate bewachen das Fort.“
Regen und Schmelzwasser erhöhen die Pegel
Den beiden dürfte nun, von Wasser eingeschlossen, ein einsamer Jahreswechsel bevorstehen. Loevestein ist vor allem wegen der berühmtesten Flucht der niederländischen Geschichte bekannt: Der Rechtsgelehrte und Philosoph Hugo Grotius entkam im 17. Jahrhundert aus dem damaligen Staatsgefängnis, indem er sich in einer Bücherkiste versteckte und sich hinaustragen ließ. Später gehörte Loevestein zum Verteidigungssystem „Neue Holländischen Wasserlinie“.
Der Rhein kommt von der Schweiz und Deutschland ins Land, die Maas von Frankreich und Belgien. Regen und Schmelzwasser erhöhen die Pegel. Die Flussgebiete sind heute besser geschützt. 1993 und 1995 noch traten die großen Flüsse über die Ufer, Häuser von 250.000 Bewohnern wurden vorsorglich evakuiert. Das war Anlass, das Programm „Raum für den Fluss“ aufzulegen: Behörden ließen Überschwemmungsgebiete ausweiten, Deiche verlegen und verstärken.
Gefahr droht zudem von der Nordsee, sie brachte zuletzt 1953 ein traumatisches Ereignis: die Sturmflutkatastrophe im Südwesten des Landes. Die Politik reagierte mit einem Küstenschutzprogramm, aus dem die „Deltawerke“ hervorgingen: ein System aus Dämmen, Schleusen und Barrieren. Der vielleicht bekannteste Teil ist das drei Kilometer lange Oosterschelde-Sturmflutwehr zwischen den Inseln Schouwen-Duiveland und Noord-Beveland. Das 1986 fertiggestellte Bauwerk mit 65 Betonpfeilern wird nach Angaben der zuständigen Infrastrukturbehörde Rijkswaterstaat im Durchschnitt einmal im Jahr geschlossen.
Ein „einzigartiger Moment“
Beinahe noch nie aktiv wurde dagegen die Maeslantkering, die ebenfalls zu den Deltawerken gehört. Das 1997 fertiggestellte Sperrwerk ist schon im Ruhezustand sehenswert: Wer die Küste der Provinz Südholland herunterradelt, biegt bei Hoek van Holland landeinwärts Richtung Maassluis und passiert das imposante Werk mit seinen zwei gebogenen, 22 Meter hohen Toren von jeweils mehr als 200 Meter Länge. Bei Gefahr drehen sie sich zueinander – und das geschah am Donnerstag vor Weihnachten, als Hochwasser und gleichzeitig der Sturm Pia auftraten. Die riesigen Greifer schlossen sich für ein paar Stunden – erstmals wegen Hochwassers, weswegen in den Medien vielfach von einer Premiere die Rede ist.
Während eines Sturms hatte sich die Maeslantkering nach Angaben von Rijkswaterstaat schon 2007 und 2018 geschlossen – und tat es ebenfalls sturmbedingt „beinahe“ in den Jahren 2002, 2013, 2014 und 2022. Doch auch Rijkswaterstaat betrachtet das jetzige Ereignis als ein Novum: Von einem „einzigartigen Moment“ für sich und sein Team spricht Maeslantkering-Chef Peter Vlam. „Als die Kering sich schloss, bekamen wir alle Gänsehaut.“