Er schüttelt den Kopf im Cockpit, ein-, zwei-, dreimal, er senkt ihn. Während der Fahrt, rollend, nicht mehr rasend. Teamchef Christian Horner sagt Max Verstappen in der Auslaufrunde, was der längst weiß: Er ist wieder Weltmeister der Formel 1, zum vierten Mal, zum vierten Mal in Serie. „Oh mein Gott“, entfährt es dem alten und neuen Champion am Funk, bevor er in den parc fermé fährt und sich anstellen muss. Rang fünf hinter dem Sieger George Russell, dessen Teamkollegen Lewis Hamilton (beide Mercedes) und dem Ferrari-Duo Carlos Sainz sowie Charles Leclerc reicht für den nächsten Triumph.
„Ich war nach Monza skeptisch“, sagt Red Bulls Sportdirektor Helmut Marko dem TV-Sender Sky, „Monza war unser Tiefpunkt. Aber wir haben es rumgedreht, heute war es eine taktische Meisterleistung. Max hat sich besonnen und das Auto souverän nach Hause gebracht. Er hat in der Saison, dort wo wir zu langsam waren, das Beste aus dem Auto geholt.“ Das gilt auch für den einzigen Deutschen im Feld: Nico Hülkenberg wird im Haas Achter.
Verstappen verschenkt auf dem Weg zum vierten Titel nicht einen Zentimeter. Beim Start lässt sich der Niederländer keine Zeit für die große Chance, die sich ihm im drittletzten Rennen der Saison bietet. In 2,8 Sekunden beschleunigt er seinen Boliden aus dem Stand auf 100 Kilometer pro Stunde. Er bleibt Fünfter hinter dem voranstürmenden Russell, Schnellster im Qualifying vor Sainz, Pierre Gasly (Alpine) und dem zweiten Ferrari mit Leclerc am Steuer, aber vor seinem Rivalen Lando Norris im McLaren. Um drei Punkte müsste der Engländer besser abschneiden, um die Entscheidung im Kampf um den Titel zu vertagen.
Gute Nachricht für Verstappen
Die Nervenprüfung ist bestanden. Wieder lässt sich der Champion nicht anmerken, ob sein Herz kurz vor dem nächsten Triumph gewaltig pocht. Es geht an diesem späten Samstagabend Ortszeit im Spielerparadies nicht um den Sieg im Rennen über 50 Runden. Es geht um den nächste Schritt in der Karriere. Verstappen bietet sich die Gelegenheit – laut Statistik – die nächste Stufe zu erklimmen in der Hackordnung, im gleichen Atemzug genannt zu werden mit Alain Prost und Sebastian Vettel, den viermaligen Weltmeistern.
Nur Juan Manuel Fangio (fünf Titel) und die Rekord-Weltmeister Michael Schumacher und Lewis Hamilton (jeweils sieben) sieht der Red-Bull-Star noch vor sich. Der Brite ist ihm bei der nächsten Etappe behilflich. Zumindest zieht er nach der Boxenstopp-Arie an Norris vorbei auf Rang fünf, vergrößert den Abstand zwischen seinem Landsmann und Verstappen, der auch dank des unglücklichen Gasly (Motorschaden) auf den zweiten Rang vorgerückt ist. Typisch. Setzt der dominierende Pilot der vergangenen Jahre auf seiner Tour vorbei an den Glücksspiel-Palästen doch noch alles auf eine Karte, um seine Krönung zum Chefpiloten mit einem Triumph über 50 Runden zu veredeln?
Keine Chance. Russell ist zu schnell. Liegt zur Mitte des Grand Prix zehn Sekunden vor Verstappen. Eine gute Nachricht für den Holländer. Der Mercedes „fliegt“. Hamilton, wegen zweier Fahrfehler im Startplatzrennen nur Zehnter, lässt Norris zurück, kann die fixen Ferrari vor ihm mit Leclerc (Vierter) und Sainz (Dritter), der den Teamkollegen später vorbeilässt, bald angreifen. Die Verwandlung der Silberpfeile hängt vor allem mit den Reifen zusammen.
Die vergleichsweise kühlen Asphalttemperaturen auf dem Stadtkurs kommen dem Mercedes mehr entgegen als allen Konkurrenten. In Winterjacken verfolgen die Teams das Treiben ihrer Piloten. In der Mercedes-Box wird es der Crew warm ums Herz. Russells Rundenzeiten sind teilweise um bis zu 0,7 Sekunden schneller. Eine Welt. Hamiltons Welt, als er noch mit Mercedes nach Belieben kreiste. Was hat sich der Engländer geärgert nach dem Qualifying über seine Missgeschicke und die Erinnerung im Rennen an die Souveränität in alten Zeiten. „Hätte ich mal meinen Job besser gemacht“, sagt Hamilton nach dem Rennen.
„Ein Traumwochenende“ für Russell
In der 32. Runde sieht er Verstappen, den Rivalen von einst, wieder vor sich. Und zieht vorbei, lässt ihn zurück, im Rückspiegel schnell immer kleiner werden, als seien die zauberhaften Zeiten zurück. Aber Russell liegt weit vor ihm, 32 Sekunden, nach dessen zweiten Boxenstopp immer noch elf. Auf dem Weg zu Ferrari 2025 erlebt der 39 Jahre alte Superstar der Szene eine Zeitenwende. Russell ist ihm insgesamt voraus in diesem Jahr in einem launischen, teils schwer zu fahrenden Rennwagen.
Das Grundproblem des Mercedes ist aber keineswegs gelöst. Vermutlich lässt sich das schon am nächsten Sonntag beim 23. und vorletzten Rennen in Qatar wieder erkennen. Hamilton weiß das. Er kämpft in Las Vegas, rückt näher und näher heran an seinen Teamkollegen, verkürzt den Rückstand auf fünf Sekunden. Aber Russell verzichtet auf das Motto in Las Vegas: „All in“ hat er nicht nötig in der Nacht zum Sonntag. Fünf Sekunden reichen locker für den Sieg. „Ein Traumwochenende“, sagt Russell: „Pole, Sieg, das in Las Vegas, es hätte keinen besseren Ort dafür geben können.“
Auch Verstappen macht sich nicht mehr breit im Finale. Als Sainz auf den harten Reifen vorbeizieht, nutzt er den Windschatten, um dem Spanier auf den Fersen bleiben zu können. Für eine paar Umläufe bleibt der Rückstand unter einer Sekunde, Verstappen darf das Heckflügel-Blatt auf der Geraden flach stellen (DRS) und Leclercs Attacken vorerst abwehren.
Aber drei Runden vor dem Ende muss er auch den Monegassen passieren lassen am Ende des Strip. So what! Na und! Fünfter. So begann die große Sause für den Red-Bull-Piloten, so endet sie. Mit dem nächsten Aufstieg Verstappens. Sein Talent reicht für eine Fortsetzung.