Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Ampelkoalition ausging, alle Welt möge CO2 sparen, jedenfalls aber jeder Deutsche. Daher nahm auch ein Reisender eines Abends im Advent nicht ein Taxi vom Frankfurter Flughafen in die Stadt, sondern den Bus; wenigstens auf den letzten Kilometern wollte er ein reines Gewissen haben. Und wo sonst erfährt man so viel über den Nächsten, den der Christenmensch doch lieben soll wie sich selbst? Höchstens noch im ICE, wenn der Sitznachbar am Handy sein Herz auch dem ganzen Großraumwagen ausschüttet.
Und siehe, der Reisende wurde auch in diesem Bus nicht enttäuscht. Kaum hatte der sich in Bewegung gesetzt, da hob in ihm ein lautes Räsonieren an. Nicht etwa jahreszeitengemäß darüber, wo es den besten Glühwein gebe und die leckersten Zimtsterne. Nein, debattiert wurde darüber, ob es für einen Muslim eine Sünde sei, einen Christen umzubringen. Zwei der drei Schriftgelehrten, die da noch mit dem Furor der Jugend argumentierten, verneinten das entschieden: In der Dschahannam lande nur derjenige, der einen anderen Muslim ins Jenseits befördere.
Als hätten sie die Diskussion nicht bemerkt
Da fragte sich unser Reisender, was er denn nun tun solle. Sich als Ungläubigen outen und riskieren, dass in Sachen Sünde noch vor der Endstation die Probe aufs Exempel gemacht wird? Der Reisende hatte, weil ja vom Flieger kommend, nicht einmal einen Nagelknipser bei sich. Und alle anderen Fahrgäste verhielten sich wie weiland Mortimer in der After-Eight-Werbung: Sie taten so, als hätten sie die Diskussion nicht bemerkt. Auch unser Reisender sagte lieber nichts. Die Ausrede, mit der er sein Schweigen vor sich selbst rechtfertigte, lautete: Eher ist ein ICE pünktlich, als dass du diese hier von ihren Ansichten abbringst. Doch jedes Mal, wenn die Bremsen des Busses quietschten, kam es ihm vor, als krähe ein Hahn.
Wie froh war der unfreiwillige Zuhörer da, als die Debatte sich der Religion zuwandte, deren Regeln ihm etwas vertrauter waren als die Gebote des Korans, die selbst unter Muslimen umstritten zu sein scheinen. Derjenige der drei Jungtheologen, der über die Sünde eine abweichende Meinung hatte, äußerte, er glaube schon, dass es Jesus gegeben habe. „Halleluja!“ jubelte da der möglicherweise einzige Kirchensteuerzahler im Bus, immer noch nur innerlich. Doch beinahe hätte ihn seine Miene verraten, die sich ob dieses Zugeständnisses so aufhellte, dass die anderen Passagiere hätten glauben können, der Mond sei aufgegangen. Doch war der nur ein halber. Denn selbst der Dissident hielt es für ausgemachten Blödsinn, dass Jesus Gottes Sohn sei: Allah, dem allein alle Ehre gebühre, würde diese doch nicht mit einem Sprössling teilen! Und den Heiligen Geist brauche der Allmächtige erst recht zu nichts
Es zu machen wie Söder reicht nicht
Da raufte der Reisende sich die Haare, schlug sich an die Brust und sagte (wieder nur zu sich): Hättest du bloß damals im Konfirmandenunterricht besser aufgepasst! Dann könntest du den drei Burschen jetzt die Leviten lesen, dass sie nicht mehr wüssten, ob sie Muslime, Christen oder Juden sind. Wo sind die Kreuzritter von der Pegida, wenn man sie mal braucht? Auch weniger militanten Verteidigern des christlichen Abendlandes sollte freilich klar sein, dass es nicht reicht, alle Jahre wieder wie Söder einen neuen Bekenntnispullover anzuziehen – der CSU-Chef hat sogar für jeden Adventssonntag einen – oder auf einem Weihnachtsmarkt der frohen Botschaft von „Driving home for Christmas (in a bus)“ zu lauschen. Man sollte auch im ÖPNV jederzeit herunterbeten können, was genau der Job des Heiligen Geistes ist.
Wir hörten aber noch nicht einmal im ICE, dass einer unserer Glaubensbrüder am Handy mit seiner Was-auch-immer auch nur über das sechste Gebot diskutiert hätte oder über die Frage, wie es der Weihnachtsbaum mit seinen heidnischen Wurzeln schaffte, in unsere Leitkultur einzuwandern. O Tannenbaum, wenigstens bei dir ist uns die Integration gelungen! In diesem Jahr sind wir besonders dankbar, unversehrt unter ihm Christi Geburt feiern zu können. Friedliche Festtage wünschen wir auch all unseren Lesern, ganz unabhängig von ihrem Glauben.