Manchmal ist es gar nicht so leicht, Pernille Harder zu sein. Am Freitag gegen England war ein solcher Tag. Grundsätzlich nervt es Trainer Lars Søndergaard, wenn zu viel über Dänemarks beste Spielerin geredet wird, das Team quasi hinter ihr verschwindet. Doch beim 0:1 gegen die Europameisterinnen aus England tat Søndergaard das Seine dafür, dass Harder hinterher im Mittelpunkt stand – wieder musste sie die einsame Mittelstürmerin geben.
Ihr Trainer lässt sie gegen starke Gegnerinnen gern dort auflaufen, weil er in ihr die stürmende Spielmacherin sieht. Harder holt sich Bälle, legt auf, bereitet vor – und ist idealerweise auch selbst torgefährlich. Gegen die Engländerinnen ging das im zweiten WM-Vorrundenspiel der Gruppe D schief. In der Fülle der Aufgaben verzettelte sie sich, spielte unauffällig – und kritisierte diese Aufstellung später: „Das war nicht meine Idee. Ich würde lieber im offensiven Mittelfeld spielen. Das kann ich am besten.“
Eine dänische Staatsaffäre ist daraus nicht geworden. Aber die Geschichte des Spiels. Auch wenn der Auftritt gegen die „Lionesses“ zum Ende hin besser wurde; den Ausgleich verfehlten die Däninnen nur knapp. Beim Sieg über China zum Start dieses Turniers hatte Pernille Harder den einzigen Treffer mit einem Eckball vorbereitet, und am Dienstag (13.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-WM der Frauen und in der ZDF-Mediathek) gegen Haiti wird sie gegen vermutlich tief stehende Gegnerinnen Stärken am Ball und im Dribbling ausspielen können.
Um Pernille Harder wird alles eine Nummer größer
Was die Story der einsamen Nummer Neun zeigt: Selbst im mit Stars unaufgeregt hantierenden Dänemark wird alles rund um Pernille Harder schnell eine Nummer größer – auch wenn es im Kern um eine taktische Kleinigkeit geht.
Kein Wunder. Schließlich gilt die 30 Jahre alte Jütländerin aus Ikast als eine der besten Spielerinnen der Welt. Nachgewiesen hat sie das in ihren drei Jahren beim VfL Wolfsburg und seit 2020 beim FC Chelsea. Mit Toren geizte sie nie, wurde mit individuellen Titeln überhäuft – in der „Landshold“ lief es holpriger, weil das Team selten allerhöchstes Niveau erreicht.
Wobei der zweite Platz bei der Europameisterschaft 2017 einen Boom auslöste. Der aber endete in Streitigkeiten zwischen den Frauen und der Dansk Boldspil-Union (DBU). Es ging um Gleichberechtigung bei den Prämien. Der Verband verwies auf höhere Einnahmen beim Männerteam, wollte leicht anheben. Die Frauen streikten, Länderspiele fielen aus, sie verpassten die WM 2019.
Bei den Prämienzahlungen hat der Verband Frauen und Männer nun angeglichen, und auch wenn der dänische Frauenfußball von einer Gleichbehandlung „100 Jahre entfernt“ sei, wie eine Kommentatorin des staatlichen Fernsehens jüngst sagte, hat die DBU in Sachen „Equal Play“ doch Schritte unternommen: Der Trainerstab ist größer, Hotels und Vorbereitungscamps ähneln denen der Männer, die Reisemodalitäten sind professionell gestaltet. Zur WM reiste ein eigener Koch mit. Die neue Wertschätzung kommt an: Jüngst waren bei einem Test gegen Brasilien 20.000 Fans in „Parken“, dem Nationalstadion – in dem dänische Frauen erstmals spielten. Die WM-Spiele übertragen der staatliche Sender DR1 und die Privaten von TV 2 im Wechsel.
Dass der dänische Fußball der Frauen hinter den sieben, acht Topnationen hinterherhinkt, liegt auch an der schwachen heimischen Liga. Acht Teams spielen den Meister aus; aktuell dominiert HB Køge aus Kopenhagen, während wichtige Männer-Vereine wie der FC Kopenhagen oder der FC Midtjylland ohne Fußball der Frauen auskommen – was Pernille Harder jüngst kritisierte. Praktisch der gesamte Kader spielt in den besten europäischen Ligen von England über Spanien bis Frankreich. Die heimische Staffel fristet ein Schattendasein, was zur Folge hat, dass die Zahl kickender Mädchen seit 2019 abgenommen hat.
Es ist ein schwacher Trost, dass Pernille Harder der Heimat nun wieder etwas näher gekommen ist. Der FC Bayern hat sie für 400.000 Euro verpflichtet. Dass Harder künftig mit ihrer Partnerin Magdalena Eriksson für die Münchner spielen wird, hat über sportliche Einschätzungen hinaus kaum Widerhall in den Medien gefunden. Die Dänin und die Schwedin sind seit 2014 ein Paar. Gemeinsam engagieren sie sich bei „Common Goal“ und spenden mindestens ein Prozent ihres Jahreseinkommens für soziale Zwecke. Auch für die Belange der LGBTQ+-Gemeinschaft setzen sich die beiden Profis häufig und gut sichtbar ein.
Für einen Fußball-Aufschwung wie 2017 wären gute Ergebnisse das allerwichtigste – und sollte Harder am Dienstag gegen Haiti treffen, wäre die Diskussion um ihre beste Position mindestens bis zum Achtelfinale vertagt.