Es dauerte keine vierundzwanzig Stunden, bis die ersten Probleme aufgetaucht waren bei der Abwicklung des geplanten Gefangenenaustauschs zwischen Israel und der Hamas. Gegen Mitternacht am Mittwochabend verschickte die israelische Regierung eine kurze Mitteilung des Nationalen Sicherheitsberaters, Tzachi Hanegbi. Die Freilassung der ersten Geiseln im Gazastreifen werde „nicht vor Freitag“ erfolgen, hieß es darin. Ein Grund wurde nicht genannt. Erst in der vorherigen Nacht hatte Israels Regierung die von Qatar und Ägypten vermittelte Vereinbarung abgenickt, die einen Gefangenenaustausch, eine Waffenruhe und die Lieferung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen umfasst. Die Umsetzung sollte am Donnerstagvormittag beginnen. Am Donnerstagnachmittag hieß es dann aus Qatar, der Beginn der Waffenruhe werde auf Freitagmorgen ab sieben Uhr verschoben.
Wie es zu der überraschenden Verzögerung kam, wurde unterschiedlich erklärt. Die beiden israelischen Verhandlungsführer, David Barnea und Nitzan Alon, hätten bei Gesprächen in Qatar „Löcher in der Vereinbarung entdeckt“, berichteten israelische Medien am Morgen. Aus Vermittlerkreisen in dem Golfstaat hieß es gegenüber der F.A.Z., „technische Fragen“ und die Zusammenstellung der Personenlisten seien der Grund. 50 israelische Geiseln, die am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt wurden, sollen laut der Vereinbarung über vier Tage hinweg in kleinen Gruppen freigelassen werden, parallel dazu will Israel 150 palästinensische Häftlinge entlassen. Auf beiden Seiten handelt es sich um Kinder, Jugendliche und Frauen.
Unstimmigkeiten mit Blick auf die Rolle des Roten Kreuzes?
Die Angaben aus Qatar decken sich mit einem Bericht des israelischen Radiosenders Kan. Demnach wurden die Mitglieder des Kabinetts am Donnerstagmittag informiert, dass in Qatar weiterhin über einige Punkte der Vereinbarung verhandelt werde. Laut dem Bericht ging es um die Zusammensetzung der Liste der Geiseln sowie um die Prozedur zu deren Freilassung; etwa um die Frage, ob die Übergabe über das Rote Kreuz erfolgt oder ob die Geiseln direkt von der Hamas an Ägypten übergeben werden.
Auch die Agentur AFP berichtete unter Berufung auf einen palästinensischen Funktionär, es habe Unstimmigkeiten mit Blick auf die Rolle des Roten Kreuzes gegeben. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Mittwochabend gesagt, die Vereinbarung sehe auch vor, dass Mitarbeiter der Organisation die Geiseln besuchen könnten. Deren Familien fordern dies seit langem. Offenbar blieb aber ungeklärt, von welchem Zeitpunkt an das der Fall sein soll und ob dies auch für diejenigen Geiseln gelten soll, die in den kommenden Tagen freigelassen werden sollen. Die Zeitung „Wall Street Journal“ schrieb, dass die Hamas keine Informationen über den gesundheitlichen Zustand dieser Personengruppe mitgeteilt habe.
Andere Berichte verwiesen auf die Hamas als diejenige Partei, die noch einmal nachverhandelt habe. Möglicherweise gab es Unstimmigkeiten mit Blick auf Details zur Freilassung der palästinensischen Häftlinge. Allgemein wurde aber Zuversicht verbreitet, dass der Deal hält. Die qatarische Regierung teilte am Donnerstagvormittag mit, dass man in Koordinierung mit Ägypten und den Vereinigten Staaten daran arbeite, dass die Vereinbarung schnell umgesetzt werde.
Vorerst weiter Kämpfe im Gazastreifen
Bevor es zu der Verzögerung kam, hatte Netanjahu schon Hoffnungen auf weitere Freilassungen geweckt. In einer Pressekonferenz am Mittwochabend sprach er von „nächsten Schritten“, die auf die Vereinbarung folgen könnten. Mit Blick auf die israelischen Geiseln, die nun freikommen sollen, sagte Netanjahu: „Ich hoffe, dass es mehr als 50 sein werden, aber ich kann es nicht versprechen.“ Israel hatte der Hamas angeboten, nach dem Abschluss der ersten Phase weitere Entführte freilassen zu können. Für jede Gruppe von zehn Geiseln, die freikommen, werde die Waffenruhe dann um einen Tag verlängert. Dann würde es auch weitere Freilassungen von Häftlingen im Verhältnis drei zu eins geben. Die Liste palästinensischer Häftlinge, die Israel vorgelegt hat, sieht diesen Fall schon vor, sie umfasst 300 Namen. Die maximale Länge der Feuerpause soll zehn Tage betragen.
Netanjahu hat klargemacht, dass der Krieg danach weitergehen werde, bis Israel alle seine Ziele erreicht habe: die Rückkehr aller Geiseln, die Eliminierung der Hamas und die Sicherung der Grenzregion. In seiner Pressekonferenz am Mittwochabend richtete er scharfe Drohungen an die Adresse der Hamas, auch an deren Führung im qatarischen Exil. Er habe „den Mossad angewiesen, gegen die Köpfe der Hamas vorzugehen, wo auch immer sie sind“, sagte Netanjahu auf die Frage eines Journalisten, ob die Hamas künftig noch eine Rolle spielen werde. Die Vereinbarung mit der Hamas über die Waffenruhe sehe „keine Verpflichtung“ vor, dass Israel nicht Hamas-Führer im Ausland angreifen dürfe.
Die Kämpfe im Gazastreifen gingen am Donnerstag einstweilen weiter. Ein israelischer Armeesprecher sagte am Nachmittag gegenüber Journalisten: „Bis wir den Befehl erhalten, das Feuer einzustellen, machen wir weiter.“ Die Angriffe würden wie üblich geführt. Zugleich bereitet sich die Armee darauf vor, den Übergang vom Süden zum Norden des Gazastreifens zu kontrollieren, sobald die Waffenruhe eingesetzt hat.