Manchmal kommt es eben anders als man denkt. Es gibt Rennstallbesitzer, die enorme Summen in junge Pferde investieren. In Vierbeiner, die über eine herausragende Abstammung und ein bestechendes Exterieur verfügen und deshalb Hoffnung machen. Doch dann zerplatzen hohe Erwartungen wie Seifenblasen. Rund ein Viertel aller gezüchteten Trabrennpferde entwickelt sich nicht wie gewünscht und verfügt nicht über die erforderliche Schnelligkeit. Oder die Tiere sind viel zu temperamentvoll und unbeherrscht, um reguliert werden zu können.
Ein gutes Beispiel war der Hengst Zar As. Obwohl der Traber über ein unglaubliches läuferisches Potential verfügte und 2009 sogar das Derby gewann, war er zu schwierig zu beherrschen, für seine Trainer geradezu ein Albtraum. Er schätzte den Umgang mit Menschen nicht. Zar As bestritt nur elf Starts und machte allen Beteiligten unmissverständlich klar, dass er keine Lust auf eine Rennkarriere hatte.
Sogar unmittelbar vor seinem Derbytriumph war der Hengst derart in Rage, dass er seinen Sulky zertrümmerte. Doch manchmal schreibt der Trabrennsport auch Geschichten, die wie Märchen anmuten. Unscheinbare Pferde, die auf den ersten Blick keinerlei ernstzunehmende Empfehlungen mitbringen und von potentiellen Käufern missachtet werden, verwandeln sich in Siegertypen.
Der Hengst Gio Cash ist so ein Fall. Ein Traber, der alle vermeintlich geltenden Regeln der Abstammungslehre widerlegt. Denn das vier Jahre alte Pferd hat keine prominenten Vorfahren – ganz im Gegenteil. Seine Mutter Give me Love gewann keinen ihrer 34 Starts. Das höchste Preisgeld, das sie jemals verdiente, waren 500 Euro.
International erfolgreich
Angesichts dieser Bilanz war es kein Wunder, dass zunächst angedacht war, Give me Love nach ihrer Rennlaufbahn als Freizeitpferd in private Hände abzugeben. Doch ihr Besitzer Pierre Sagitz, ein zu jenem Zeitpunkt in der Traberszene völlig unbekannter Mann, entschied sich anders. Der 44 Jahre alte Berliner ließ seine Stute decken – und landete den Coup seines Lebens.
Denn Gio Cash, der das erste und einzige Pferd ist, das Sagitz jemals gezüchtet hat, wurde zum Volltreffer. Das unscheinbare Fohlen reifte innerhalb kurzer Zeit zu einem Seriensieger – und aus seinem Namen wurde ein Motto, denn bei allen bisherigen Starts gab es für den Besitzer mächtig viel Bares. 328.260 Euro Rennprämie hat Gio Cash mit vorzüglichen Leistungen bereits verdient. Dem Hengst gelangen nicht nur Erfolge in Deutschland, sondern in Schweden, Italien und Holland.
An diesem Wochenende steht Gio Cash vor seiner bisher spektakulärsten Aufgabe. Er ist das Pferd, auf das sich die Zuschauer beim diesjährigen Derby-Meeting auf der im Süden Berlins gelegenen Trabrennbahn Mariendorf am meisten konzentrieren werden. Am Samstag und am Sonntag werden dort die Vorläufe des 128. Deutschen Traber-Derbys ausgetragen, und es besteht aus Sicht aller Experten kein Zweifel daran, dass es Gio Cash in das mit 280.000 Euro dotierte Finale schafft, das am 20. August den Abschluss des wichtigsten Trabrennereignisses der Bundesrepublik bildet.
Nimczyk für Deutschland
Diesmal wird das Berliner Meeting, das aus fünf Veranstaltungstagen besteht und bei dem es um rund 1,5 Millionen Euro Preisgeld geht, durch eine besondere Attraktion angereichert. Denn auch die fünf Finalläufe der Fahrer-Weltmeisterschaft sind in das Geschehen auf der Mariendorfer Bahn integriert. Deutschland wird durch den amtierenden Champion Michael Nimczyk repräsentiert, der bereits mehr als 2900 Rennen gewann und die Berliner Piste wie kein anderer kennt.
Die Chancen auf einen heimischen Erfolg stehen gut. Doch der Wettkampf der Fahrer aus zehn Nationen sowie die anderen sportlichen Höhepunkte des Meetings werden vom Derby überstrahlt. Es ist seit der Erstaustragung im Jahr 1895 das Maß aller Dinge. Sollte Gio Cash tatsächlich gewinnen, werden nicht nur bei seinem Trainer Dion Tesselaar, sondern auch auf den Tribünen Tränen der Rührung fließen. Denn dann wäre das Märchen von einem vierbeinigen Underdog, der zum Helden wird, endgültig wahr geworden.