Als der britische Bloomsbury-Verlag am 26. Juni 1997 die ersten 500 Exemplare von J. K. Rowlings Roman „Harry Potter und der Stein der Weisen“ veröffentlichte, war wohl niemandem klar, dass die Autorin später als Erfinderin einer etablierten Randsportart gelten würde. Doch es sollte so kommen. Die Eröffnung der Fantasy-Saga rund um den „Jungen, der überlebte“ und seine Freunde verkaufte sich bis heute mehr als 100 Millionen Mal. Eine Geschichte über Freundschaft und Feindschaft, über eine magische Welt und eine magische Schule voller Geheimnisse.
In einer übernatürlichen Lehranstalt darf neben den außergewöhnlichen Unterrichtsfächern auch ein passender Sport nicht fehlen. Also konzipierte Rowling eine Zauberersportart mit fliegenden Besen, außergewöhnlichen Bällen und einer fiktiven Weltmeisterschaft.
„Treiber“ gegen „Klatscher“
Das sogenannte „Quidditch“ zog sowohl Hauptfigur Harry Potter als auch die Leser seiner Lebensgeschichte in seinen Bann. Die Regeln des Quidditch aus den Romanvorlagen sind simpel und komplex zugleich. Während des Besenfliegens versuchen drei Spieler der zwei Teams als „Jäger“ den sogenannten „Quaffel“ durch die drei senkrecht stehenden Ringe des anderen Teams zu werfen, wobei ein erfolgreicher Torwurf der eigenen Mannschaft zehn Punkte einbringt.
Der „Hüter“ versucht die Ringe, ebenfalls auf einem Besen sitzend, zu verteidigen. Zusätzlich hat jedes Team zwei „Treiber“. Sie haben die Aufgabe, die wildgewordenen, selbständig fliegenden „Klatscher“ mit einem Schläger von den eigenen Spielern fernzuhalten und auf die gegnerischen Spieler zu schleudern. Die Schlüsselrolle hat jedoch der „Sucher“, welcher für sein Team den „goldenen Schnatz“ sucht. Jener ist ein flinker, sehr kleiner Ball, flüchtet gezielt vor den Suchern und ist buchstäblich Gold wert. Schafft es ein Sucher, den goldenen Schnatz zu fangen, so erzielt er 150 Punkte für sein Team und beendet das Spiel sofort. Gewonnen hat das Team mit den meisten Punkten.
Auch wenn eine Realumsetzung des Sports auf den ersten Blick unmöglich wirkt, gelang es zwei amerikanischen Studenten, eine abgewandelte Version in Parks und auf Sportplätzen zu etablieren. Die Elemente des magischen Sports verschwimmen hier jedoch stark mit der Realität. Statt eines Besens klemmen sich die Spieler nun eine Plastikstange zwischen die Beine, und statt „Klatschern“, „Quaffel“ und „Schnatz“ wird mit Dodgebällen, einem Volleyball und einem gelbgekleideten „Flagrunner“ gespielt.
Jagd nach der Flagge
Das Spielprinzip bleibt dem Original recht treu. Der Volleyball wird handballartig in Richtung Tor gepasst, wobei die Jäger auch von ihren Gegenspielern mit Rugbytechniken abgewehrt werden dürfen. Zusätzlich zielen die Treiber mit ihren Dodgebällen auf die Jäger und versuchen, jene mit einem gekonnten Wurf zu treffen. Wenn ein Jäger getroffen ist, muss er sofort den Weg zu den eigenen Torringen antreten, bevor er wieder ins Spielgeschehen einsteigen kann.
Der neutrale „Flagrunner“ schreitet erst nach 20 Minuten zur Tat und flitzt ähnlich wie im Fantasy-Epos vor den Suchern davon. Sollte einer der Sucher die Flagge am Rücken des Flagrunners zu fassen bekommen, so verdient er seinem Team 30 weitere Punkte, beendet bei einem Sieg das Spiel oder schickt die Partie bei einer rechnerischen Niederlage in die „Overtime“. Dort gewinnt anschließend die Mannschaft, welche zuerst 30 Punkte Vorsprung vor der Punktzahl des führenden Teams zur Zeit des „Flaggenfangs“ hat.
Wegen Rowling umbenannt
Viel mit Zauberei hat das nicht mehr zu tun, dafür umso mehr mit bekannten Sportarten. „Eine Mischung aus Handball, Völkerball und Rugby“, so definiert der Deutsche Quadball Bund den Sport, welcher durch das Phänomen der 2000er Popkultur entstand. „Quadball“ – so nennt sich die Sportart nun. Sowohl namensrechtliche Probleme als auch die gewollte Distanz zur Autorin J. K. Rowling nach deren transfeindlichen Äußerungen waren die wesentlichen Gründe für den von der International Quadball Association angekündigten und 2022 vollzogenen Namenswechsel der Sportart sowie aller Ligen und Organisationen.
Die Distanz zu J. K. Rowling ist auch vielen Verantwortlichen auf internationaler Ebene wichtig. Vor allem, weil das Thema Diversität heute relevanter denn je ist – und durch die Mixed-Mannschaften einen wichtigen Bestandteil des Sports darstellt.
In Deutschland und dem Rhein-Main-Gebiet hat die Sportart mittlerweile auch Fuß gefasst. Die höchste Division ist in sechs Regionalligen unterteilt. In der Rhein-Main-Liga schloss das in Bornheim ansässige Team der Frankfurt Manticores die Saison 2022/2023 hinter den Darmstadt Athenas auf Platz zwei ab. Neben den regionalen Wettbewerben werden auch Weltmeisterschaften ausgetragen. Diese fand Mitte Juli in Richmond im amerikanischen Bundesstaat Virginia statt.
Die deutsche Nationalmannschaft überraschte mit dem Einzug ins Finale, während die Favoriten der amerikanischen Mannschaft die Vorahnungen der Zuschauer bestätigten und abermals den Titel gewannen. Der nächste Wettbewerb in Sichtweite ist nun der Quadball Nations Cup im Oktober. Dort wird sich zeigen, ob der deutsche Quadball und das zugehörige Nationalteam den momentanen Aufschwung aufrecht erhalten können.