14 tatkräftige Landfrauen sind nötig, um eine Erntekrone zu flechten. Das weiß der Verband im Main-Taunus-Kreis nun, der erstmals mit dieser Aufgabe konfrontiert war, sie aber auf Anhieb bravourös gemeistert hat. Ein rundes Objekt aus Stroh, kein links und kein rechts, kein oben und kein unten hat es, so beschreibt es Ulrike Scherer, Vorsitzende der Landfrauen im Main-Taunus-Kreis. „Genau das brauchen wir auch im ländlichen Raum“, sagt sie, damit sich jeder dort wohlfühle, ungeachtet von politischer Ausrichtung oder Hautfarbe. Und, auch das stand auf ihrem Wunschzettel, bessere Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und weniger Versiegelung.
Seit dem 19. Jahrhundert sind Erntekronen in Deutschland nachgewiesen, und man könnte glauben, die Übergabe einer solchen durch den Bauernverband an den Bundespräsidenten sei eine feste jährliche Tradition mit leicht ausgeleierter Routine. Doch nach vielen Jahren ohne Krone finde das Zeremoniell erst seit dem Jahr 2018 wieder statt, sagt Frank-Walter Steinmeier. In jedem Jahr in einer anderen Gemeinde irgendwo in der Bundesrepublik, und in diesem Jahr in Kelkheim-Hornau.
Dort ist man hohen Besuch inzwischen gewohnt. Erst im vergangenen Jahr besuchte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Martinskirche während der Feierlichkeiten zum Paulskirchenjubiläum, weil das Hofgut der Familie von Gagern, der Familie, die den ersten Parlamentspräsidenten überhaupt stellte, gleich nebenan liegt. In Kelkheim ist man sehr stolz darauf. Vom örtlichen Heimatforscher ist der fast ernst gemeinte Ausspruch überliefert, dass es zwei Wiegen der Demokratie gebe, Athen und Kelkheim-Hornau. Gleich neben dem Hofgut errichtete man später den kreisrunden Kirchenbau St. Martin in architektonischer Anlehnung an die Paulskirche.
Das Volk wollte Selfies
In just dieser, der Martinskirche, sah das Protokoll zunächst einen ökumenischen Gottesdienst samt Kirchenpräsident (evangelisch) und Generalvikar (katholisch) vor. Danach schritt man zur Übergabe, die streng genommen keine war, denn das von Landfrauenhand geflochtene Trumm blieb mehrere Ansprachen und ein Mittagsgeläut lang auf seinem Holzständer stehen, diverse Ackerfrüchte davor drapiert. Dann schritt das Staatsoberhaupt samt Entourage hinter die Kirche, wo ein Erntemarkt aufgebaut war, um sich dort unters Volk zu mischen.
Das zog sich, denn das Volk wollte Selfies und das Standpersonal hatte Redebedarf. Ein paar Minuten je Stand waren vorgesehen, es wurden meist mehr. Landfrauen, Bauernverband, Apfelhof, Hessische Landjugend, Feuerwehr – das war die Reihenfolge. Es wurde Brot gereicht, es wurden Äpfel betastet und Grüne-Soße-Kräuter bestaunt. Die Feuerwehr verteilte Schmalzbrote und Kaffee.
Erst ganz am Ende lag das Goldene Buch der Stadt und harrte seines Eintrags, bewacht von Stadtarchivar Julian Wirth. Bürgermeister und Fußball-Schiedsrichter Albrecht Kündiger (UKW) hatte noch einen Anschlusstermin, es galt ein Spiel in Groß-Karben zu pfeifen. Zum Glück schaffte es Steinmeier rechtzeitig zum Bucheintrag, ohne die Kreisliga in Bedrängnis zu bringen.
Die Erntekrone nahm der Bundespräsident nicht mit nach Berlin, die passte nicht in die Dienstlimousine. Aber eine Biographie der Familie von Gagern, aus der zu erfahren ist, wie Demokratie und ländlicher Raum zusammenpassen: sehr gut nämlich.