Vor fünf Jahren unternahmen amerikanische Wissenschaftler ein Experiment mit zehn Männern und zehn Frauen, die gemeinsam hatten, dass ihr Körpergewicht gewöhnlich stabil war. Sie erhielten für eine Woche industriell stark verarbeitete Lebensmittel und für eine Woche weitgehend natürlich belassene Lebensmittel. In der Woche, in der sie Chili aus der Dose, Chips, Chicken Nuggets, Dosen-Ananas und andere Erzeugnisse industrieller Fertigungsprozesse zu sich nahmen, nahmen sie im Schnitt je ein Kilogramm zu. In der Woche mit natürlicher Nahrung verloren sie ein Kilo. Die Teilnehmer konnten so viel essen, wie sie wollten. In der Woche mit Industrienahrung aßen und tranken sie 500 Kalorien mehr am Tag.
Die Untersuchung wurde dafür kritisiert, dass sie nur zwei Wochen dauerte und nur wenige Probanden hatte. „Aber wenn man das Ergebnis mit den jahrelangen Beobachtungsstudien kombiniert, sieht der Beweis sehr stark aus, dass ultra-verarbeitete Lebensmittel Fettleibigkeit und chronische Krankheiten verursachen“, schreibt Tom Farley in seinem Gesundheitsblog Healthscape. Eine neue Studie des gleichen Forscherteams dauerte mehr als sechs Jahre und hat als vorläufiges Ergebnis, dass die Leute sogar 1000 Kalorien am Tag mehr zu sich nehmen, wenn die Mahlzeiten viele Kalorien je Gramm hatten und besonders schmackhaft oder „highly palatable“ waren. Damit sind Lebensmittel gemeint, deren Verzehr die Leute schwer stoppen können, etwa Kartoffelchips.
Mit Trump besser essen
„Ungesunde Lebensmittel konkurrieren nun mit dem Rauchen um den Titel der führenden Todesursache in Amerika und tragen zu Herzerkrankungen, Schlaganfällen, Diabetes und Krebs bei“, schreibt Tom Frieden, der unter dem früheren Präsidenten Barack Obama Chef der obersten Gesundheitsbehörde (Center for Disease Control and Prevention, CDC) war. Heute leide fast die Hälfte der Amerikaner an Bluthochdruck, drei Viertel seien fettleibig oder übergewichtig und 15 Prozent hätten Typ-2-Diabetes.
Viel hat Frieden in seiner Amtszeit in dieser Hinsicht nicht erreicht. Er führt das Scheitern auf den großen Einfluss der Lebensmittelkonzerne zurück. Jetzt allerdings könnte sich das Blatt wenden, weil Donald Trump, der künftige Präsident, Robert F. Kennedy Jr. zum Gesundheitsminister machen will. „Wir verraten unsere Kinder, indem wir zulassen, dass die Industrie sie vergiftet“, hatte Kennedy auf einer Kundgebung im November gesagt. Trump selbst sagte über Kennedy: „Ich werde ihm beim Essen freien Lauf lassen.“
Kampf um die Cola-Steuer
Die meisten Mediziner lehnen Kennedys Haltung zu Impfungen und zu zahlreichen anderen Fragen fundamental ab. Aber bei einem Thema sind die Überzeugungen deckungsgleich: Sie finden, dass die großen Lebensmittelkonzerne die Leute tendenziell krank machen. Kennedy hat nicht nur Trumps Rückendeckung, sondern Kohorten von Influencern hinter sich, die seinen Kurs medial unterstützen. Selbst demokratische Politiker wie der Gouverneur von Colorado, Jared Polis, sympathisieren, unter anderen wegen folgender Aussage Kennedys: „Es gibt ganze Abteilungen wie die Ernährungsabteilung der FDA, die abgeschafft werden müssen, die ihre Arbeit nicht machen, die unsere Kinder nicht schützen.“
Kann Kennedy schaffen, was seinen Vorgängern versagt blieb? Er müsste einen Kampf gegen Interessengruppen führen, die großes politisches Gewicht haben.
Kennedy könnte sich mit der Getränkeindustrie anlegen, deren Limonaden die größte Quelle für schädlichen Zuckerkonsum speziell unter Kindern sind. Frieden hatte versucht, Obama von einer „Soda Tax“, einer Cola-Steuer, zu überzeugen, und scheiterte damit. Doch eine Cola-Steuer führt nach Friedens Darstellung in der Handvoll Städten, in der sie erlassen wurde, dazu, dass weniger zuckerhaltige Brausen getrunken wurden und der Anteil fettleibiger Kinder an der Bevölkerung schrumpfte.
Gegen die mächtige Agrarlobby
Ein anderer Ansatzpunkt wäre das Lebensmittel-Hilfsprogramm der Bundesregierung. Es ist rund 100 Milliarden Dollar schwer und hilft bedürftigen Amerikanern, für ihre Lebensmitteleinkäufe zu bezahlen. Jeder achte Amerikaner nimmt das Programm in Anspruch. Forscher der Harvard-Universität fanden heraus, dass 18 Prozent des Gelds für ungesunde Nahrung ausgegeben werden, für Zuckerbrausen, Desserts, Süßigkeiten, salzige Knabbereien und anderes. Schon bisher gilt, dass man mit den staatlichen Gutscheinen keine Kaugummis und kein Bier kaufen kann. Kennedy könnte so auch andere gesundheitsschädliche Lebensmittel bannen.
Doch sein politisches Problem ist, dass das Programm vom Landwirtschaftsministerium verwaltet wird, das unter Einfluss der mächtigen Agrarindustrie steht. Diese will den Brausegetränken weiter ihren Maissirup zusetzen. Die Branche ist besonders einflussreich in Bundesstaaten, die Trump spielend gewann. Das Ministerium verwaltet auch das Schulessen-Programm, das für Schulkinder das Mittagessen bezahlt. Parlamentarische Versuche, die Mahlzeit gesünder zu machen, waren an Lobby-Vorstößen gescheitert.
Inzwischen kommen unter Demokraten Zweifel auf, ob Kennedy den Kampf gegen „Big Food“ wirklich ernst meint oder ob er nur genügend demokratische Senatoren gewinnen will, die ihn als Gesundheitsminister bestätigen. Es gibt Hinweise, dass einige Republikaner ihm die Unterstützung verweigern könnten. Der Republikaner Mitch McConnell, langjähriger „Sprecher“ des Senats, hatte sich sehr skeptisch geäußert. Er litt in seiner Jugend unter Kinderlähmung, die dank Impfungen außergewöhnlich selten geworden ist.
Für die Lebensmittelkonzerne bleibt die Lage schwieriger als früher. Einige Rechtsanwaltskanzleien mit früheren Erfolgen in Produkthaftungsklagen haben eine Klage gegen die Großen der Lebensmittelindustrie eingereicht, gegen Kraft, Mondelez, Post, Coca-Cola, PepsiCo, General Mills, Nestle, Kellanova, WK Kellogg, Mars und and Conagra. Im Kern der Klageschrift heißt es, die Konzerne machten Menschen mit gezieltem Marketing krank. Die Unternehmen, von denen einige zumindest zeitweise Tabakkonzernen gehörten, nutzten deren Strategien zur Produktentwicklung, um die Menschen von den Lebensmitteln immer abhängiger zu machen. Die Klage wurde in Philadelphia eingereicht, wo Klägern häufiger als anderswo große Schadenersatzsummen zugesprochen werden.