In den USA zeigt sich gerade, wie weit die zersetzende Kraft der Lüge inzwischen reicht – am Beispiel einer Naturkatastrophe. Der Wirbelsturm Helene hat in sechs Bundesstaaten – North und South Carolina, Georgia, Florida, Tennessee und Virginia – gewütet, mindestens 225 Menschen sind, den jüngsten offiziellen Zahlen zufolge, ums Leben gekommen, viele werden noch vermisst. Während die Rettungsaktionen anliefen, nahm das Land aber nicht nur Anteil am Schicksal der Betroffenen. Die extreme Rechte sah nämlich die Gelegenheit gekommen, die Regierung Biden ein weites Mal anzugreifen. Die Folgen des Hurrikans, ja sogar dieser selbst, werden dem Weißen Haus zur Last gelegt.
Der Sturm sei künstlich erzeugt worden, um Lithium-Abbau in dem betroffenen Gebiet zu erleichtern. Darauf lautet das Gerücht, das die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor-Greene aus Georgia auf X noch anfachte: „Ja, sie können das Wetter kontrollieren. Es ist lächerlich, wenn jemand die Lüge verbreitet, dass das nicht möglich ist.“ Donald Trump behauptete derweil, die Regierung Biden habe Gelder des Katastrophenschutzes, der Federal Emergency Management Agency (FEMA), abgezweigt, um illegalen Einwanderern zu helfen. Republikanischen Wählern werde gezielt Hilfe verweigert.
Das Weiße Haus wies die Unterstellungen als falsch zurück und forderte, „dass sämtliche Führungspersönlichkeiten unabhängig von ihrer politischen Überzeugung aufhören, dieses Gift zu verbreiten.“ Doch dieser Appell verhallte ungehört. Die Trump-Unterstützer lassen keine Chance ungenutzt, durch Desinformation Zwietracht zu säen.
Falschinformationen legten die Hilfe lahm
Und so waren die Retter und Helfer nicht nur mit ihrer eigentlichen Aufgabe beschäftigt, sondern mit dem Kampf gegen Fake News. Die Katastrophenschutzbehörde richtete auf ihrer Website eine „Hurricane Helene Rumor Response“ ein, um die Lügen zu widerlegen, aber auch Abzockern Einhalt zu gebieten, die sich als private Retter ausgeben. Die Desinformation könne „Betroffene davon abhalten, Hilfe zu suchen und Unterstützung zu beantragen“, sagte die FEMA-Chefin Deanne Criswell.
Das Rote Kreuz beklagte, die Falschinformationen legten die Hilfe lahm. Unter den Helfern sinke angesichts der Fake News über die angebliche „Tatenlosigkeit“ der Behörden die Moral. Es sei eine „Herausforderung“, mit diesen Gerüchten konfrontiert zu werden, sagte Aaron Aguirre, ein Hilfseinsätze fliegender Hubschrauberpilot der Nationalgarde von Tennessee, in der „New York Times“.
Mit von der Fake-News-Partie war und ist selbstverständlich auch Elon Musk. Er schrieb auf seiner Plattform X, während seine Ingenieure Starlink-Internetterminals aufbauten, versage die Behörde FEMA nicht nur, sondern weigere sich, „andere helfen zu lassen. Das ist skrupellos!“ Auch das war gelogen, Transportminister Pete Buttigieg musste sich gegen Musks Falschbehauptung zur Wehr setzen, die Federal Aviation Administration habe den Luftraum für private Hilfsflüge gesperrt.
Anwohner versuchen, Fake News beizukommen
Politiker beider Parteien in den am stärksten betroffenen Gebieten beklagten, dass Anrufe besorgter und empörter Bürger Hilferufe blockierten und die Rettungsarbeiten behinderten. Der republikanische Senator Kevin Corbin aus North Carolina sagte, die Falschmeldungen abzuräumen koste Zeit und belaste „Leute, die versuchen, ihren Job zu machen“. Die Nationalgarde in North Carolina, die nach eigenen Angaben bisher mehr als 400 Menschen in 57 Rettungsflügen befreien konnte, musste sich gegen die Unterstellung des republikanischen Vize-Gouverneurs Mark Robinson wehren, die meisten Hilfsflüge würden von Privatmaschinen durchgeführt.
Als reiche dies an Desinformationen nicht, kursierte in den sozialen Medien das Gerücht, die am schlimmsten betroffenen Gebiete sollten von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht und von der Regierung gepfändet werden. Die Behauptung, dass die überflutete Ortschaft Chimney Rock in North Carolina planiert werde, um Tote zu verbergen, wurde millionenfach geteilt und führte zu dem Vorschlag, eine Miliz gegen FEMA zu bilden. Anwohner versuchten, wie die „Washington Post“ berichtete, den Fake News mit Videos von vor Ort sowie Schildern mit Radiofrequenzen und der Forderung beizukommen, „glaubwürdige Informationen zu verbreiten“.
Samantha Montano, Katastrophenschutzexpertin von der Massachusetts Maritime Academy, sagte der „Post“: „Als Musk Twitter kaufte, warnten viele in meinem Berufsfeld, dass das diese Plattform im Katastrophenfall wahrscheinlich weniger nützlich machen würde. Ich glaube, das offenbart sich jetzt.“ Das Ausmaß der Desinformation sei beispiellos, meinten Katastrophenschutzexperten. Der Sheriff von Rutherford County, Aaron Ellenburg, der sich den Gerüchten um den Ort Chimney Rock entgegenstemmte, sagte der „New York Times“: „Ich habe so etwas noch nicht erlebt, und ich habe die Schnauze voll von diesem Mist.“