In einer Zeit, da hierzulande vor allem der stockkonservative Charakter des orthodoxen Christentums vor Augen steht, erinnert das Recklinghäuser Ikonenmuseum daran, dass diese Kultur weibliche Heilige verehrt, die gegen das, was ihre Zeit von Frauen erwartete, offen verstießen. Die 74 Bildwerke starke Schau namens „Ikona. Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst“ führt Preziosen aus der eigenen Sammlung mit solchen der Ikonenmuseen in Frankfurt sowie im niederländischen Kampen zusammen, die kanonisierte Glaubenskämpferinnen zeigen, die der Männerwelt – im Namen Christi – selbstbewusst Widerstand leisteten.
Die Schau dürfte daher auch ein Publikum jenseits von Ikonenfreunden ansprechen. Wobei sie ihren Ausgangspunkt natürlich am Urproblem der christlichen Frauenfrage nimmt, der durch Schwäche sündigen Stammmutter Eva: Das auf Goldgrund erst zur jüngsten Jahrtausendwende fein bemalte Kästchen aus dem russischen Ikonenkünstlerdorf Palech zeigt eine langbeinige Eva, der ein anmutiger schwarzer Engel die verbotene glutfarbige Frucht kredenzt. Ihre Überwinderin, die im Gehorsam gegenüber dem Herrn nie wankende Maria, wird durch zahllose Ikonen als das ideale Gegenbild verherrlicht.
Wobei es bezeichnenderweise eine Frau mit Vergangenheit, die üblicherweise als ehemalige Prostituierte klassifizierte Maria Magdalena ist, die – wie auch eine Ikone des 16. Jahrhunderts zeigt – der auferstandene Christus auswählt, um sich erstmals einem Menschen zu zeigen.
Die Heilige Katharina von Alexandria, die sich Christus als spirituelle Braut versprochen und im frühen 4. Jahrhundert das Martyrium erlitten haben soll, erscheint auf einer kretischen Ikone als vornehme Prinzessin, die in eleganter Garderobe ihre Marterwerkzeuge präsentiert. Die möglicherweise erfundene Katharina soll den römischen Kaiser herausgefordert und in einer öffentlichen Diskussion seine Gelehrten vom Christentum überzeugt haben. Nachdem Katharinas Zerfleischung durch ein Rad durch ihre Gebete vereitelt wurde, wurde sie enthauptet.
Eine starke Frau war auch die Heilige Thekla, deren Leben eine russische Ikone in vielen Bildern vergegenwärtigt. Sie soll Paulus gefolgt sein und sich Christus geweiht haben, weshalb ihre Familie und ihr Bräutigam sie verstießen. Thekla, die im ersten bis zum frühen zweiten Jahrhundert in Kleinasien missionierte und taufte, wird apostelgleich mit einem Buch in der Hand dargestellt. Sie wurde wilden Tieren vorgeworfen, von diesen aber wundersam gerettet.
Eine weitere vielteilige Ikone erzählt die Geschichte der Heiligen Justinia, die als schöne junge Christin im späten 2. Jahrhundert den Magier Kyprian bekehrte, der sie durch Hexenkünste einem reichen Auftraggeber gefügig machen sollte. Man sieht, wie der schwarz geflügelte Teufel Justinia umwirbt, wobei er sich ein liebliches Gesicht und luxuriöse Frauenkleider zulegt, aus dem freilich schwarze Hufe und Hörner hervorlugen.
Doch Satan blitzte ab. Da schwor Kyprian den bösen Geistern ab, wurde Christ, Priester und schließlich Bischof. Unter Kaiser Diokletian wurden er und Justina, die inzwischen als Äbtissin einem Kloster vorstand, gefangen genommen, gefoltert und 304 enthauptet. Im christlichen Pantheon findet sich auch eine Me-Too-Heldin, die Märtyrerin Thomais von Alexandria, ihr Leben im 5. Jahrhundert schildert eine weitere mehrteilige Ikone aus dem 18. Jahrhundert, deren weißunterlegte Farbigkeit sie in der Schule von Newjansk im Ural verortet.
Me-Too-Heldin im christlichen Pantheon
Die fromme Thomais war im Alter von fünfzehn Jahren mit einem jungen, ebenfalls gläubigen Fischer verheiratet worden und zu ihm in sein Elternhaus gezogen. Dort begann der Schwiegervater, ihr nachzustellen. Als Thomais’ Mann einmal zum nächtlichen Fischfang aufgebrochen war, bedrängte er die Strohwitwe und bedrohte sie, da sie standhaft blieb, mit dem Schwert. Thomais entgegnete, selbst wenn er sie entzweischnitte, würde sie sich nicht versündigen. Im Zorn zerhieb der Alte seine Schwiegertochter. Doch er wurde sogleich blind und lahm und konnte den Ort des Verbrechens nicht verlassen.
Der heimkehrende Sohn stieß nicht nur auf die Ermordete, sondern auch auf den geständigen Täter, der alsbald vor Gericht kam und hingerichtet wurde. Die Heilige Thomais gilt als Beschützerin vor Vergewaltigung und vor unzüchtigen Leidenschaften. Alle diese Heiligen treten freilich als Frauen mit sittsamem Kopftuch in Erscheinung.
Mit offenem bekröntem Haar zeigt sich allein die Heilige Sophia, die schon im Alten Testament und heute vor allem in der Ostkirche verehrte Verkörperung der göttlichen Weisheit. Wie die geflügelte Sophia zwischen der Madonna und Johannes dem Täufer, beschienen von einem Nimbus mit eingeschriebenem Kreuzzeichen unter den segnenden Händen Christi, thront, macht sie zur leuchtenden Personifizierung des göttlichen Heilsplans.
Ikona. Heilige Frauen in der Orthodoxen Kunst. Im Ikonenmuseum Recklinghausen; bis zum 17. März 2024. Ein Katalog ist in Vorbereitung.