Es ist eine manchmal schwere, manchmal süße Last, die Trainer Christian Streich und seine Spieler in diesen ereignisreichen Wochen schultern müssen. Da ist zum einen eine erdrückende Statistik aus den sieben Bundesligaspielen dieses Jahres, in denen der Sport-Club Freiburg nur einmal, am 20. Januar, gewinnen konnte: 3:2 daheim gegen die TSG Hoffenheim.
Demgegenüber stehen für die vom potentiellen Europapokalplatz sieben auf die Position neun zurückgefallenen Südbadener vier Niederlagen und zwei Unentschieden. Rückschläge, die durch die spektakulären Remis in den Heimspielen gegen Eintracht Frankfurt (3:3) und gegen den FC Bayern München am vergangenen Freitag (2:2) zumindest sehenswert aufgehübscht wurden.
Dünner Kader, strammes Programm
Dass die Freiburger, Stand heute, wieder in der Region ohne europäische Perspektiven angesiedelt sind, in der sie bis einschließlich der Saison 2020/21 heimisch waren, nämlich im oberen oder unteren Tabellenmittelfeld, überrascht Insider indes wenig.
Die Mannschaft, gebildet aus einem schmalen Kader mit gerade mal 25 Profis, unter ihnen fünf noch nicht vollends integrierte Zugänge, musste sich ob zahlreicher Verletzungen, voran der Stammspieler Christian Günter, Mathias Ginter und Philipp Lienhart, und diverser Erkrankungen durch den Winter hangeln, in dem auch noch ein europäischer Zweiteiler zur Qualifikation für das Achtelfinale der Europa League auf dem Programm stand.
Den bestand der Klub nach einem 0:0 beim nordfranzösischen Arbeiterklub RC Lens im Freiburger Rückspiel mit einem furiosen 3:2-Sieg in der Verlängerung nach einem 0:2-Rückstand auf denkwürdige Art und Weise.
Nun begegnet die Mannschaft an diesem Donnerstagabend um 21 Uhr (im F.A.Z.-Liveticker zur Europa League und bei RTL) in der Runde der letzten 16 aufs Neue dem Londoner Premier-League-Klub West Ham United, dem Streichs Ensemble in den Gruppenspielen der Europa League zweimal unterlegen war (1:2, 0:2).
Beim Wiedersehen im zuletzt beim 2:2 gegen die Münchner wie ein Tollhaus anmutenden Freiburger Stadion rechnet sich der Sport-Club mehr aus – auch weil Streich inzwischen wieder eine größere Auswahl an Spielern hat, nachdem sich Günter und Ginter wieder zurückgemeldet haben und Lienhart zumindest in den Trainingsbetrieb zurückgekehrt ist.
Der SC Freiburg, im vorigen Jahr nach zwei guten Spielen trotz der Niederlagen (0:1, 0:2) gegen den italienischen Rekordmeister Juventus Turin aus der Europa League geschieden, traut sich gegen die Hammers das erstmalige Erreichen des Viertelfinales in einem europäischen Wettbewerb zu.
„Enormer Kraftakt“
Mag also sein, dass die Freiburger Hochstimmung anhält und die Reise durch Europa nach dem Rückspiel am kommenden Donnerstag weitergeht. Streich hat aber auch zu bedenken gegeben, dass „dieses Jahr für uns ein sehr hartes Jahr mit ganz besonderen Erlebnissen ist, aber auch mit einer richtigen Durststrecke“.
Das europäische Hoch und das Highlightspiel gegen die Münchner vernebeln niemandem in Freiburg den Blick auf die tabellarische Gemengelage. So verweist der zuletzt wie eine Reihe seiner Spieler an einem Infekt erkrankte Streich gern auf die „Europapokalspiele, von denen wir viele ganz toll gestaltet haben“.
Er gibt aber auch zu bedenken, dass die Begegnungen im Donnerstag-Sonntag-Donnerstag-Takt noch dazu bei dem an guten Tagen hochenergetischen Freiburger Fußball „eine große Herausforderung“ seien. „Besonders wenn du mit vielen Verletzungen und Erkrankungen von Spielern zu kämpfen hast. Das geht richtig an die Substanz.“ Andererseits mache es einen „wahnsinnigen Spaß, weil wir gern europäisch spielen. Wir sind sehr stolz darauf, aber es ist ein enormer Kraftakt.“
Für eine Mannschaft wie die des SC Freiburg sind die Auftritte im Europapokal alles andere als Routine wie etwa in München oder Dortmund. Vielleicht ist das auch gut so, da sonst das Momentum im Rückspiel gegen Lens womöglich nicht so hell gefunkelt hätte.
Der Österreicher Michael Gregoritsch, umjubelter Torschütze zum 3:2-Triumph über den RC Lens, sprach danach von einem „Sieg für die Ewigkeit“. Der an die einstigen Europapokalabende des SV Werder Bremen unter Trainer Otto Rehhagel erinnerte, als im eigenen Stadion nach teils uneinholbar anmutenden Rückständen die „Wunder von der Weser“ wahr wurden.
Ganz so mythisch ist der Europacup-Schauplatz Freiburg mangels jahrelanger internationaler Erfahrung noch nicht, und dennoch könnte auch bei diesem jahrelang kleinen, inzwischen aber zum gehobenen Mittelstand der Bundesliga zählenden Klub eine zumindest beachtliche internationale Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden.
Falls nicht in dieser Saison, dann vielleicht in der nächsten, da der SC Freiburg zehn Spieltage vor dem Saisonende in der Bundesliga noch nicht so weit von den europäischen Plätzen entfernt ist. „Die Momente sind flüchtig“, hat Sportvorstand Jochen Saier gegenüber dem „Kicker“ nach dem Fußballdrama gegen Lens gesagt, „es ist wichtig, dass man solche Abende auch genießt.“ Womöglich schon wieder an diesem Donnerstagabend.