Das Kanzleramt spricht nach der russischen Veröffentlichung eines mutmaßlichen Mitschnitts einer Bundeswehr-Besprechung von einem „ernsten Vorgang“. An der Haltung des Kanzlers, keine Taurus-Marschflugkörper an Kiew zu liefern, habe sich nichts geändert, wurde der F.A.Z. am Samstag aus Regierungskreisen mitgeteilt. Zuvor hatte das Verteidigungsministerium angekündigt zu prüfen, ob Kommunikation im Bereich der Luftwaffe abgehört worden sei. Alle erforderlichen Schritte würden eingeleitet, sagte eine Sprecherin.
Am Freitag hatte die Chefin des russischen Staatssenders RT (früher Russia Today), Margarita Simonjan, einen Audiomitschnitt eines etwa 38 Minuten langen, möglicherweise abgehörten Gesprächs veröffentlicht. In diesem sollen ranghohe Offiziere der Luftwaffe zu hören sein, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes von Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutieren.
Luftwaffeninspekteur Gerhartz soll an dem Gespräch teilgenommen haben
„Etwas seeeeeehr Interessantes haben mir Kameraden mit Schulterklappen übergeben“, schrieb sie am Freitag auf Telegram. Gemeint sind Geheimdienstler, vermutlich solche des unter anderem für die entsprechende Aufklärung zuständigen Militärgeheimdienstes GRU. Mit diesem hatte Simonjan schon in prominenter Mission vor sechs Jahren zusammengearbeitet, als sie die beiden Agenten, die nach britischer Überzeugung im englischen Salisbury den Anschlag auf früheren Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter verübt und durch fahrlässigen Umgang mit dem Kampfstoff Nowitschok eine unbeteiligte Engländerin getötet hatten, als vorgebliche Touristen interviewte.
Dass die Aufnahme echt ist, ist bislang nicht bestätigt. Das ZDF und die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichteten am Samstag aber, ihnen lägen Informationen dazu vor, dass das Gespräch tatsächlich so stattgefunden habe und der veröffentlichte Mitschnitt kein Fake sei. Laut der dpa wurde bei der Besprechung die Plattform Webex benutzt.
An dem Gespräch soll auch Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz teilgenommen haben, es soll in Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geführt worden sein. Wie auf der Audiodatei zu hören ist, tauschen sich die Gesprächspartner unter anderem zu der Frage aus, ob Taurus-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage dazu wären, die von Russland gebaute Brücke zur Krim zu zerstören und ob die Ukraine auch ohne Bundeswehrbeteiligung dazu in der Lage wäre. In dem Mitschnitt ist auch zu hören, dass es auf politischer Ebene keine Zustimmung für eine Taurus-Lieferung gibt.
Dass die Verantwortlichen der Bundeswehr umfassend prüfen und besprechen, welche deutschen Waffensysteme im Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland eingesetzt werden können, ist keine Überraschung. Das geschieht auch im Kanzleramt, unabhängig von den politischen Entscheidungen darüber, was Berlin zur Verfügung stellen kann und will, und was nicht.
Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist der Vorgang deshalb ernst und problematisch, weil er von der russischen Propaganda ausgeschlachtet werden kann. Und zwar in dem Sinne, dass Scholz zwar verkünde, dass die Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper bekomme, aber die Militärs währenddessen schon prüfen, welche Ziele diese erreichen könnten.
Nach dem, was die F.A.Z. aus Kreisen der Bundesregierung erfahren hat, ist dieser Schluss aber nach wie vor falsch. Der Bundeskanzler bleibt hart bei seiner Ablehnung. Sowohl seine Partei, die SPD, als auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützen Scholz bei seinem Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Erst kürzlich hatten das sowohl der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil als auch der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich bekräftigt. Druck, Kiew den Taurus doch zur Verfügung zu stellen, kommt allerdings nicht nur aus der Unionsfraktion, sondern auch aus den Reihen der beiden Koalitionspartner der SPD, von den Grünen und der FDP.