Die Bundesregierung hat den Ernst der Lage für die Wirtschaft erkannt – diesen Eindruck versuchte sie jedenfalls nach ihrer zwei Tage langen Klausur auf Schloss Meseberg zu verbreiten: „Die Bundesregierung kennt die Lage, sie handelt und sie ist dabei auch agil und kann sich an andere Erfordernisse anpassen“, sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP). Nach Wochen des Streits hatte sich die Ampelregierung zusammengerauft, um einen weiteren Schwung an Vorhaben zu beschließen – allen voran das Wachstumschancengesetz und Eckpunkte zum Bürokratieabbau. Diese sollen den amtlichen „Bürokratiekostenindex“ auf den niedrigsten Stand seit Messbeginn 2012 drücken, wie die Regierung nun versprach.
Einer Wirtschaft am Rande der Rezession scheint die vorgetragene Agilität aber nicht auszureichen. Trotz der großen Ankündigung lösten besonders die nun beschlossenen Eckpunkte zum Bürokratieabbau Ernüchterung aus. Diese „bleiben weit hinter unseren Erwartungen zurück“, sagte Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer der F.A.Z. „Unternehmer verzweifeln, weil die Regierung unaufhörlich selbst neue Bürokratiepflichten schafft, wie mit dem deutschen Lieferkettengesetz“, sagte sie. „ Wenn die Urheber dieses Gesetzes hier nicht korrigieren wollen, zeigt das eindrücklich, welchen niedrigen Stellenwert das Ziel des Bürokratieabbaus in der Ampel hat.“ Wichtige Ansatzpunkte für Entlastungen – vom Lieferkettengesetz über die sogenannte A1-Bescheinigung bis zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – würden gar nicht aufgegriffen. „Sie stehen exemplarisch für ein Bürokratiesystem, das die Unternehmen geradezu erstickt.“
Besonders viel Klagen über Lieferkettengesetz
Das Lieferkettengesetz war noch von der alten Regierung unter Führung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) durchgesetzt worden und ist Anfang 2023 in Kraft getreten. Es verpflichtet Unternehmen, auf der ganzen Welt auf Menschenrechte und Umweltstandards bei Zulieferern und Geschäftspartnern zu achten – unterlegt durch Berichts- und Kontrollpflichten sowie Haftungsrisiken und Bußgelder. Wirtschaftsverbände kritisieren es seit jeher als überbordende Belastung. Zur Vorbereitung des nun geplanten Bürokratieentlastungsgesetzes hatte das federführende Bundesjustizministerium unter Verbänden insgesamt 442 Vereinfachungsvorschläge gesammelt. Dabei wurde kein anderes Problemfeld häufiger aufgerufen als das Lieferkettengesetz.
Aus derselben Liste hat das Justizministerium für die aktuellen Eckpunkte nun ein Sammelsurium anderer Maßnahmen zusammengestellt: Die Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege sinkt von zehn auf acht Jahre. Auch Hotelketten können auf weniger Papierkram hoffen – für deutsche Staatsangehörige entfällt künftig die Hotelmeldepflicht. Ebenso sollen Schriftformerfordernisse „soweit wie möglich“ aufgehoben werden. Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung, Schriftstücke eigenhändig zu unterschreiben, was oft Papierausdrucke erzwingt und Digitalisierung verhindert. Das Lieferkettengesetz wird in den Eckpunkten jedoch nicht erwähnt – weil die zuständigen Ministerien dazu nicht zugeliefert hätten, wie es heißt.
Bürokratieabbau in Europa
Das zeigt zugleich Stärke und Schwäche des Bürokratieentlastungsgesetzes, kurz BEG, das sich aus freiwilligen Zulieferungen der jeweils zuständigen Ministerien speist. Lutz Goebel, Vorsitzender des Normenkontrollrats, des offiziellen Bürokratiewächtergremiums der Regierung, lobte die Pläne im Grundsatz. Allerdings ordnete er sie zugleich nüchtern ein: Mit dem geplanten Paket werde „der Anstieg gesetzlicher Folgekosten gedämpft“, so Goebel. „Für eine wirkliche Trendumkehr darf die Bundesregierung in ihren Bemühungen beim Bürokratieabbau aber keinesfalls nachlassen.“ Und er warnte davor, „die vielen guten Entlastungsvorschläge aus der Verbändeabfrage“, die nun erstmal unberücksichtigt bleiben, „in der Schublade“ verschwinden zu lassen. Zudem braucht es aus Sicht der Bürokratiewächter noch mehr als vorhandene Vorgaben, etwa Dokumentationspflichten, für digitale Verfahren zu öffnen: Gesetzgebung solle sich von vornherein viel stärker um einfache, praxistaugliche Regelungen bemühen.