Vor drei Wochen unterzeichnete Joe Biden einen Übergangshaushalt, der keine Mittel für die Ukraine vorsah. Es war der Kompromiss, den der regierungswillige Teil der Republikaner mit Bidens Demokraten im Kongress geschlossen hatte, um einen „Shutdown“ abzuwenden. Die Hardcore-Trumpisten im Kongress hatten dagegen votiert; sie und ihr Matador Donald Trump hätten die weitgehende Lähmung der westlichen Führungsnation gern als Etappensieg in ihrem großen Zerstörungsfeldzug gefeiert. Aber bis ins Weiße Haus hinein hatten sie die Furcht verankert, als „Globalist“ dazustehen, dem das Wohl eines fremden Volkes wichtiger sei als das der eigenen Nation.
Seither überschlagen sich die Ereignisse. Eine Handvoll radikaler Rechter setzte den Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy ab, um ihn für die Kollaboration mit Amerikas vermeintlichem Erzfeind, den Demokraten, zu bestrafen; die Republikaner sind zerrissener denn je. Tage später zwang die islamistische Hamas Israel einen Krieg auf, der den ukrainisch-russischen Stellungskrieg in den Hintergrund rückt.
Bei aller Erschütterung über den Terror im Heiligen Land hat Biden darin eine Chance erkannt. Denn so ungestüm die Republikaner im Banne Trumps in Richtung Nationalismus marschieren, als Schutzherren Israels wollen sie sich nicht überholen lassen. Darum macht Biden die Unterstützung Israels und der Ukraine zu zwei Seiten derselben Medaille. Der Präsident hat Amerikas Rolle als globale Ordnungsmacht nun so robust verteidigt, als suchte er Läuterung für seine vorherige Verzagtheit gegenüber den Nationalisten.
Viele Brände in Washington
Biden kennt die Unterschiede der beiden Großkrisen. Doch er setzte Hamas und Putin in einer Hinsicht gleich: Beide wollten einen demokratischen Nachbarn auslöschen. Es liege im ureigenen Interesse der USA, Terroristen und diktatorische Aggressoren zu stoppen. Biden verwandte tradierte Formeln, die auch in seiner Partei manchem aus der Zeit gefallen scheinen: Madeleine Albrights Wort von Amerika als „unverzichtbarer“ Nation und Thomas Jeffersons Wendung von den Vereinigten Staaten als „Leuchtfeuer für die Welt“.
Natürlich weiß Biden, dass die Demokraten der Welt (und deren Feinde!) beim Blick auf Washington derzeit zwar viele Flammen sehen, aber kaum mehr das lodernde Vorbild einer der Freiheit verpflichteten, kraftstrotzenden Demokratie erkennen. Seine Ansprache war die Frage eines Oberbefehlshabers, aber auch eines Wahlkämpfers ans Volk: Welches Amerika wollt ihr?
Der Kontrast könnte ja schärfer nicht sein. Während Biden in Tel Aviv mit Empathie punktete, überzogen Anhänger des Trump-Loyalisten und Speaker-Kandidaten Jim Jordan dessen innerparteiliche Gegner mit Hassbotschaften und sogar Morddrohungen. Republikanische Abgeordnete trugen ihre persönlichen Animositäten vor Kameras aus. Ganz zu schweigen von Trump, der in einem bizarren Auftritt Tage zuvor Szenenapplaus bekommen hatte, als er die islamistische Terrorgruppe Hizbullah „gewitzt“ und Israels Verteidigungsminister einen „Vollidioten“ nannte.
Bei Israel lassen sich die Republikaner nicht überholen
Biden ignoriert nach außen hin dieses Trauerspiel. Er will im Kongress hohe achtstellige Beträge für die Unterstützung Israels und der Ukraine beantragen, obwohl die erste Kammer ohne Sprecher gar nicht handlungsfähig ist. So erhöht er den Druck auf die Republikaner – beziehungsweise den Preis, den sie für ihre frivole Schlammschlacht bezahlen. Denn es sind ihre Anhänger, die in einer Umfrage zu 84 Prozent sagen, die Unterstützung Israels sei im Interesse der USA. Gerade den Evangelikalen ist Jerusalem heilig, und manche Republikaner sehen in Israel die Speerspitze in einem globalen Kampf gegen den Islamismus oder gar den Islam.
In Bidens eigener Partei liegt der Anteil der Israel-Unterstützer niedriger; da schlägt auch die heftige Abneigung gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen Bündnis mit der extremen Rechten durch. Wesentlich krasser ist der Unterschied allerdings bei der Ukraine: 87 Prozent der Demokraten, aber nur 49 Prozent der Republikaner glauben nach zwanzig Kriegsmonaten noch, dass die Kiew-Hilfe dem eigenen Land dient. Darin steckt viel Innenpolitik: eine Trotzreaktion auf Versuche der Demokraten, Trump als Putins Lakaien darzustellen, und ein Echo von Trumps Attacken auf den Präsidentensohn Hunter Biden, der in der Ukraine Geschäfte machte.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuletzt viel Grund zu bangen, dass die Solidarität des Westens mit Israel auf Kosten seines Landes gehen werde. Sollte Bidens Kalkül aufgehen, könnte die Hilfe für Israel auch der Ukraine nützen. Dafür brauchte es allerdings mehr Republikaner, die einsehen, dass die Welt vor wichtigeren Wegscheiden steht als den Vorwahlen in diesem oder jenem Kongressbezirk.