Wortbruch, Trauerspiel, nie da gewesener Vertrauensbruch – Bund und Länder ringen einmal mehr ums Geld. Konkret geht es um die Finanzierung der Kosten, die mit steigenden Flüchtlingszahlen verbunden sind. Für November ist ein weiteres Treffen der Regierungschefs der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geplant. Es sollte sorgfältig vorbereitet werden. Nachdem das Treffen einer Arbeitsgruppe Anfang der Woche ergebnislos abgebrochen wurde, liegen Nerven blank.
Was ist passiert? In der Vergangenheit haben Bund und Länder oft kurzfristig unter dem Eindruck des aktuellen Geschehens nach einem Kompromiss gesucht. Nun ist viel von einem „atmenden System“ die Rede. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte zuletzt den Druck erhöht, indem er im F.A.Z.-Interview vor einem „nie dagewesenen Vertrauensbruch warnte, der immensen gesellschaftlichen Schaden anrichten würde“, wenn die Ampel die „glasklare Zusage“ von Scholz ignoriere.
Von Länderseite heißt es nun frustriert: Der Bund habe zwar ein atmendes System angeboten: Aber mit 5000 Euro je Person und Jahr käme man mit den unterstellten 330.000 Flüchtlingen auf bis zu 1,7 Milliarden Euro. Das wäre weniger als die Hälfte des Betrags, die der Bund in diesem Jahr zahle. Entsprechend groß ist der Ärger.
Nicht das übliche Tauziehen
„Wenn die Bundesregierung glaubt, sie könne Ländern und Kommunen sogar weniger Mittel zur Verfügung stellen, dann hat sie den Ernst der Lage schlicht nicht erkannt“, sagte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) der F.A.Z. Es gehe hier nicht um das übliche föderale Tauziehen, sondern um die Frage, ob die Kommunen noch ihrer Daseinsvorsorge vor Ort noch gerecht werden könnten. „Das setzt die Bundesregierung aufs Spiel“, warnte er.
Im Bundesfinanzministerium sieht man die Dinge – wenig überraschend – anders. „Der Vorwurf, der Bund habe eine Mittelkürzung angekündigt, trifft nicht zu“, betont ein Sprecher. Bund und Länder hätten sich im November 2022 darauf geeinigt, dass der Bund die Länder ab 2023 jährlich mit einer allgemeinen flüchtlingsbezogenen Pauschale von 1,25 Milliarden Euro unterstütze.
Für dieses Jahr habe man für Geflüchtete aus der Ukraine noch einmal 1,5 Milliarden Euro zugesagt. Und im Mai sei eine weitere Milliarde draufgelegt worden – einmalig. Angesichts der bestehenden Herausforderungen habe der Bund Kompromissbereitschaft gezeigt und für das nächste Jahr 1,7 Milliarden Euro angeboten, betont der Sprecher.
Eine Schippe drauf
Die Länder haben das Angebot ausgeschlagen. Sie sehen sich als Sachverwalter der Kommunen. Eigentlich müssen sie dafür sorgen, dass diese finanziell ausreichend ausgestattet sind. Aber erfahrungsgemäß ist ihnen oft genug der eigene Haushalt wichtiger. Die Kommunen fürchten offenkundig, einmal mehr mit den Problemen vor Ort alleingelassen zu werden.
„Unterm Strich muss mehr Geld für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten bei den Kommunen ankommen als bisher“, verlangt Städtetagspräsident Markus Lewe. Der Bund müsse sich endlich bewegen und eine deutliche Schippe drauflegen. Dazu gehöre die vollständige Übernahme der Kosten der Unterkunft.
Es müsse auch über Mittel für die Integration geredet werden. „Wichtig ist, dass am Ende ein atmendes Finanzierungssystem steht, das sich den Flüchtlingszahlen anpasst, dauerhaft gilt und nicht immer neu verhandelt werden muss.“
Fehlende Begrenzung und Steuerung
Das Ergebnis der jüngsten Arbeitsgruppe nannte der Oberbürgermeister der Stadt Münster ein Trauerspiel. Landkreispräsident Reinhard Sager merkt an, der Bund sei verantwortlich für fehlende Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung und damit die erhebliche Ausweitung der Kosten auf kommunaler Ebene. „Wenn er nun seine finanzielle Beteiligung nicht nur nicht ausbauen, sondern gegenüber den Ländern sogar halbieren will, schlägt das dem Fass den Boden aus.“ Das könne nicht das Ergebnis eines monatelangen Arbeitsgruppenprozesses sein.
Die kommunalen Spitzenverbände sind auf den Barrikaden, weil ihnen die aktuelle Finanzprognose ein Abkippen in den Flächenländern anzeigt: Aus einem Überschuss von gut 2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr dürfte 2024 ein Defizit von fast 10 Milliarden Euro werden. Der Bund kann wiederum auf früheres Entgegenkommen verweisen. So unterstützt er über das Bürgergeld die Menschen aus der Ukraine – zusätzlich zu den zugesagten Pauschalbeträgen.
„Insgesamt hat der Bund seit dem Jahr 2016 die Länder mit rund 48 Milliarden allein im Bereich der Flüchtlings- und Integrationskosten entlastet“, rechnet das von Christian Lindner (FDP) geführte Finanzministerium vor. Damit nicht genug: Der Bund hat in der jüngsten Doppelkrise länger und weit mehr neue Schulden aufnehmen müssen als Länder und Kommunen – bei geringeren Steuereinnahmen. Seit dem Jahr 2020 bekommt er weniger vom Aufkommen als die Länder. Kann er, muss er da noch mehr abgeben?