In den letzten Maitagen begrüßt Lissabon seine Besucher in Lila: Die Jacarandabäume blühen und lassen fliederfarbenen Blätterschnee auf Straßen und Wege rieseln. Wie das vergängliche Naturschauspiel beschränkt sich der portugiesische Ableger der aus Spanien kommenden Kunstmesse ARCO nicht auf einen einzigen Ort in der Stadt, sondern zeigt sich an vielen Stellen Lissabons. Galerien, die sich neben dem die ARCO beherbergenden Stadtteil Belém vor allem in Marvila und Alvalade finden, nutzen die Messetage, um neue Werke zu präsentieren.
So etwa die Galeria da Boavista, die sich derzeit dem 1995 in Lissabon geborenen Künstler João Motta Guedes widmet. Durch seine großformatigen Arbeiten aus gerahmtem Buntglas fließt das warme Licht der Atlantikstadt; seine gläsernen Gestalten wirken wie Schatten von Figuren, die wir nicht sehen. „No feeling is final“, zitiert der Künstler ein Gedicht Rainer Maria Rilkes: Nichts ist endgültig.
Wie Perlen auf einer Schnur
Gleich nebenan in der Galerie Kindred spirits bringt der Kurator Sérgio Fazenda Rodrigues die Werke von Nuno Sousa Vieira und Tamara Arroyo in einen Dialog. Unter dem Titel „Canhoto As Zurdo“, portugiesische Wörter für Linkshänder, was in der Tat das Merkmal ist, das beiden Künstlern gemeinsam ist, sind Skulpturen aus Alltagsgegenständen versammelt. Während Vieira Gefundenes dekonstruiert, indem er etwa einen Fensterrahmen zerbricht und auf abenteuerliche Weise wieder zusammensetzt, erbaut Arroyo aus gefundenen Materialen Neues. Konstruktion trifft auf Dekonstruktion.
„Im Zeichen des Dialogs steht auch die Messe“, sagt deren Direktorin Maribel López. „Wir sind eine kleine Messe. Um für Galerien attraktiv zu sein, müssen wir uns etwas einfallen lassen.“ An die Venedig-Biennale erinnert der Veranstaltungsort: In der einstigen Seilerei der Marine am Ufer des Tejos stellen mehr als 80 Galerien aus 15 Ländern ihre Werke aus.
Die Architektur der schmalen, aber 400 Meter langen Cordoaria Nacional fordert von den Ausstellern, sich wie Perlen auf einer Schnur zu reihen. Zwei kuratierte Sektionen und ein postkolonialer Fokus setzen Akzente auf der Messe. Auffällig ist neben der starken Präsenz von Künstlerinnen der hohe Frauenanteil im Gremium der Kuratoren und der Leitung. Die meisten Galerien kommen aus Spanien und Portugal, doch auch Händler aus Frankreich und Brasilien sind zahlreich vertreten.
Auch für das kleinere Portmonnaire
Die Galerie ADN aus Barcelona zeigt große Collagen, die der Künstler Carlos Aires aus Teilen von Banknoten fertigt. Wer sich seinen Werken nähert, erkennt Texte von Popsongs in den Konterfeis der historischen Personen von den Geldscheinen (je 22.000 Euro). Die Berliner Galerie Carlier Gebauer, eine von drei aus Deutschland, präsentiert Kunst der 1986 geborenen Leonor Serrano Rivas. In einer ihrer Textilarbeiten verdichten sich übereinander gewobene Lagen zu einem Sternhimmel. Die Künstlerin hat „Rosa espacial gigante donde están naciendo las estrellas“ einem Astrologen vorgelegt, der für sie bestimmte, wo am Nachthimmel die Ansicht zu verorten sei (15.000).
Aus Österreich ist neben Zeller van Almsick mit kleinformatigen Ölbildern von Edin Zenun (je 1900) die Charim Galerie vertreten und hat Arbeiten von Eva Beresin dabei, die sich mit Themen wie Weiblichkeit und Familie auseinandersetzen (ab 9600). Mit dem bekanntesten iberischen Künstler geht Mayoral aus Barcelona an den Start: Hier gibt es Tuschezeichnungen von Pablo Picasso (120.000 bis 360.000).
Wer so viel nicht ausgeben will, kann in der Sektion „Opening Lisbon“ für weniger bekannte Galerien und Künstler fündig werden. Die Galerie Portas Vilaseca aus Rio de Janeiro hat Werke der in Berlin lebenden Künstlerin Ana Hupe mitgebracht, die den Primat der Rationalität infrage stellt. Für „If You Throw a Mediterranean Stone“ hat Hupe ein Orakel aus Steinen gefertigt, aus dem sie anhand der Farbtafel des Theosophen Charles Webster Leadbeater, auf die auch Hilma af Klint zurückgriff, Botschaften liest (3900).
Der zweite kuratierte Teil mischt sich bewusst zwischen die anderen ohne separaten Raum. Paula Nascimento aus Angola und Igor Simões aus Brasilien haben dazu Galerien, die Künstler aus Afrika oder der afrikanischen Diaspora zeigen, eingeladen. Bei der Galerie Lis10 aus Paris zeigt Laetitia Ky Fotografien ihrer Haarskulpturen (Preise auf Anfrage), und bei Galerie Nil gibt es manipulierte Fotografien von Menschen auf Fahrzeugen (ab 3800). Der Mut, konzeptionell und kuratorisch auf Frauen und Impulse aus Afrika zu setzen, zahlt sich aus. Es kann nicht bloß der Duft der Jacaranda sein, der hier alles ein wenig unbekümmerter wirken lässt.
ARCO Lisboa, Cordoaria Nacional, bis 26. März, Eintritt 20 Euro