Vor zwölf Jahren verschwand Martin Wagners (Michael Steinocher) Jugendliebe spurlos, er wurde Polizist, ging nach Wien und vergaß sie. Oder zumindest seine Gefühle für Mona Steidl (Henrietta Rauth), die er damals nur heimlich treffen konnte, weil ihre streng katholische Familie keine Beziehung duldete.
Nun ist er zurück im niederösterreichischen Waldviertel, auf dem Posten, wo es scheinbar höchst beschaulich ist. Gleich ein tödlicher Badeunfall. Es ist an Martin, die Nachricht zu überbringen. Fannys Neffe Robert (Oliver Rosskopf), Martins ehemaligem Kumpel, kommt der Tod der Tante höchst ungelegen. Geld hatte sie ihm zu Lebzeiten versprochen, für den überdimensionierten neuen Stall, dessen Kosten die Bank nun per Zwangsversteigerung eintreiben will.
Fanny Hofstätter (Susi Stach), die Gesellschafterin, Köchin und Bedienstete im Schloss der betagten Charlotte Lanner (Nicole Heesters), wurde gewaltsam unter Wasser gedrückt. Was Kriminalkommissar Paul Werner (Fritz Karl) auf den Plan ruft. Einen freundlichen, vielleicht allzu verbindlichen Mann, der sich gegen das Schreckliche seines Berufs mit Bachs Cellokonzerten wappnet. Einen Ausgleich brauche man, so Werner im Gespräch mit seinem Hauptverdächtigen. Für ihn ist das die klassische Musik. Am Tatort, einem abgelegenen Waldteich, lässt er alle warten, bis der letzte Ton des Satzes verklungen ist. Kein Spleen, sondern Respekt. Dass dieser Mann beharrlich bis zum Ende dabeibleibt, ist nicht nur augen-, sondern auch ohrenfällig.
Auf dem Land kennen sich die Leute noch
Als Zuschauer sieht man überhaupt mehr, als man bis zum Schluss weiß in der Folge „Der Schutzengel“ aus der Reihe der österreichischen „Landkrimis“, einer ZDF/ORF-Koproduktion. Die miteinander verbundenen Fälle der nie wieder aufgetauchten Mona und der knurrigen Fanny verweben sich in Rückblenden, Chronologien, dramatischen Wiederholungen mit gelegentlichen Perspektivwechseln (Kamera Andre Mayerhofer).
Naturidyll und menschengemachte Bosheit ergänzen sich in diesem – im guten Sinn unaufgeregten, im besten Sinn altmodischen – Verbrechensfall von Götz Spielmann (Buch und Regie). Die Leute kennen sich noch, hier auf dem Land; Wiener und St. Pöltener kennen sich nicht aus. Der Postenpolizist Franz (Gerhard Roiß) etwa vertreibt von Zeit zu Zeit Geister vom Hof der alten Hertha Steidl (Margarethe Tiesel), die ihre Mona längst „beim Herrgott“ glaubt. Die Schlossherrin, von Heesters als wandelnde Ordo-Anschauung verkörpert, will ihren Lebensabend in der Waldeinsamkeit beschließen, hat aber die Rechnung ohne ihren Neffen Hanno Lanner (Michael Rotschopf) gemacht. Mit geschichtlichem Sinn und historischen Anhänglichkeiten, insbesondere an grandiose marode Gemäuer, hat der Wiener Bankmanager nichts im Sinn, nur die Jagd will er nach dem Verkauf behalten.
Bald beginnt ein recht erquickliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem Kommissar Werner, dem noch Motiv und Beweise fehlen, und Lanner, der sich dem Bach-Versteher intellektuell haushoch überlegen glaubt. Was dem Polizisten seine Musik, ist ihm, klar, die Philosophie. Er belehrt sein Gegenüber über Nietzsche, „Gott ist tot“ und Transhumanismus, redet vom Übermenschen und mehr dergleichen, in Kreisen der Taten-aus-Amoralität-Konstrukteure nicht ganz unbekannten Motivationen. Aber auch dem gebildeten Lanner („Wie der Walzer-Komponist Johann Strauss?“) schlägt beim gepflegten Plaudern die Stunde der Hybris. Ausgerechnet sein Autokennzeichen (FN 1889) wird ihm zur Nemesis. Logisch.
In „Der Schutzengel“ ist die neuestens im Krimi ausgebrochene Hochkulturitis, oder die gemeine hochkulturelle Angeberei (etwa im „Tatort: Gold“ vom vergangenen Sonntag), freilich gut am Platz. Immunisierung gegen und Einsichten in das Böse durch Johann Sebastian Bach; Friedrich Nietzsche als angeblicher Allesrechtfertiger – Autor Spielmann präsentiert solches Gehabe freilich auch mit einem Zwinkern. Kriminalistisch belastbarer als die Kunst der Musik und Ahnungen des Denkens sind zu guter Letzt Fingerabdruckvergleiche und Zigarettenstummeluntersuchungen. Nicht zuletzt von Fritz Karls doppelbödiger Zugewandtheit in der Rolle des Kommissars könnte es im Krimi ruhig mehr geben.
Der Schutzengel – Landkrimi läuft um 20.15 Uhr im ZDF. In der Mediathek abrufbar.