Für Nancy Faeser läuft es richtig gut. Sie sitzt in einem kleinen Café in der Frankfurter Innenstadt, nippt an ihrer Kaffeetasse, schweigt die meiste Zeit und lächelt, als traute sie dem Ganzen noch nicht. Acht bekannte und weniger bekannte Personen, zu denen die Dragqueen Babsi Heart und die linke Anwältin Seda Başay Yildiz zählen, überschütten Faeser mit Lob: Sie sei die „personifizierte Brandmauer gegen rechts“, eine Politikerin, die eint, statt zu spalten, sie sei eine „sehr gute, sehr würdige Kandidatin“ und müsse bei der Landtagswahl am 8. Oktober die erste hessische Ministerpräsidentin werden. Gemeinsam unterzeichnen sie deshalb einen Wahlaufruf für sie.
Die Spitzenkandidatin der SPD hält kurz inne und sagt dann: „Es geht mir sehr nahe, so viele Komplimente zu erhalten.“ Im Anschluss werden Fotos gemacht, wird geplaudert, Faeser lacht ihr Faeser-Lachen – laut, herzlich, einnehmend. Sie erzählt von einer Einrichtung für altengerechtes Wohnen, wo sie zuvor war. Wunderbare Menschen, sie sei ganz aufgeladen von der guten Stimmung dort und hier. Der Wahlkampf überhaupt – großartig. Beobachtet man Nancy Faeser, wie sie sich mit den Menschen unterhält, ist erst mal alles in Ordnung. Faeser ist auf den ersten Blick wie ihr Lachen: herzlich, laut, einnehmend. Und die Probleme ihres Wahlkampfes? Sie tut so, als verstünde sie die Frage nicht mal. „Was meinen Sie?“
Von Berlin und Brüssel nach Hanau und Baunatal
Da sind einmal die Umfragewerte ihrer Partei, der SPD: Wenige Tage vor der Landtagswahl trennt sie 15 Prozentpunkte von der CDU. Sie ist abgeschlagen. Da ist Faesers eigene Rolle als Bundesinnenministerin: Die Zahl der Migranten, die nach Deutschland kommen, steigt, die Kommunen ächzen, in Brüssel soll ein europäischer Deal ausgehandelt werden – und Faeser ist zuständig. Ihr Job als Ministerin ließe sich auch ohne Wahlkampf kaum in einer 40-Stunden-Woche stemmen.
Da ist aber eben noch der Wahlkampf, in dem sie durch Hessen tourt: Von Berlin und Brüssel geht es nach Schwalbach, Homburg, Baunatal, Hanau, Offenbach, Wiesbaden, Frankfurt. Hin und her, ein Knochenjob. Faeser wirkt stellenweise wie eine Getriebene. Unter Druck entstehen Widersprüche: Erst ist sie wochenlang gegen stationäre Grenzkontrollen, dann doch nicht mehr. Kein Widerspruch zu ihrer bisherigen Position, versichert sie. Wie so oft soll es eher ein Missverständnis ihrer Zuhörer sein, nicht ihr eigenes.
Solche Missverständnisse passieren auch Faesers Partei. So stand im Wahlprogramm, dass Ausländer, die mindestens sechs Monate in Hessen leben, auf kommunaler Ebene das Wahlrecht bekommen sollen. Wie sich später herausstellte, will die Partei nur erreichen, dass Ausländer nach sechs Jahren in Städten und Gemeinden wählen dürfen. Ein „saudummer Fehler“, sagte ihr Sprecher, sie selbst sprach von einem „Übertragungsfehler“ vom Positionspapier ins Wahlprogramm.
Als die SPD vergangenes Wochenende ein Video veröffentlichte, in dem gefragt wurde, ob Ministerpräsident Boris Rhein Stimmen der AfD nutzen wollte – er hatte das ausdrücklich ausgeschlossen –, sagte sie: „Das ist nicht mein Stil.“ Das Video wurde gelöscht, der Generalsekretär des Landesverbandes entschuldigte sich. Faeser beharrte aber auf der Frage, die auch im Video aufgeworfen wurde: wieso sich ein hessischer CDU-Politiker mit AfD-Leuten zu einer Art Konferenz in Wetzlar traf. Rhein ärgerte sich, dass Faeser ihre eigene Entschuldigung damit relativiere. In der Welt von Nancy Faeser gibt es Fehler offenbar erst, wenn sie diese auch als solche benennt. Und das tut sie nicht gerne.