Mehr als viele Konkurrenten hat sich der aus Italien stammende Nutzfahrzeugkonzern Iveco darum gekümmert, möglichst schnell ein möglichst breites Angebot von Lkw-Antrieben zu entwickeln – batterieelektrisch, mit Flüssiggas, mit Brennstoffzelle oder mit wasserstoffbetriebenem Verbrennermotor. Am einfachsten ist dagegen noch die Ausrüstung der bisherigen Dieselmotoren für die Verwendung von Biodiesel der zweiten Generation, der aus Abfällen hergestellt wird. Jede der Antriebsformen hat ihre Nachteile, keine ist bisher ideal.
„Es gibt nicht das, was die Amerikaner ‚silver bullet‘ nennen, die ideale Lösung für alle Probleme“, sagt Luca Sra, Chef der Lastwagensparte von Iveco, der F.A.Z. „Wir sind technisch in keiner Weise festgelegt, weil wir mit aller praktischer Erfahrung und Bescheidenheit sehen, dass es eine ganze Reihe von Problemen gibt, die erst noch geklärt werden müssen.“ Gemeint sind damit nicht technische Fragen, sondern die Unsicherheit darüber, wann und wo die Infrastruktur für alternative Antriebe entsteht oder ob einzelne Antriebe gefördert werden.
Iveco hatte vor einigen Jahren schnell reagiert auf die früher angebotenen Zuschüsse zur Abdeckung von Zusatzkosten für gasbetriebene Lkw und entsprechende Angebote gemacht. Doch die Förderung wurde gestrichen, und gleichzeitig hatte der Ukrainekrieg zeitweise die Gaspreise in schwindelnde Höhen getrieben. Nun zeigt sich der Iveco-Lastwagenchef eher desillusioniert: Iveco werde nicht darauf setzen, dass die Europäische Kommission in irgendeine Richtung entscheide. Solche Erwartungen in die eigenen Pläne einzubauen wäre eher verantwortungslos.
„Wir versuchen technisch überall den Fuß drin zu haben“
Die Konsequenz wirkt eher aufwendig: „Wir versuchen, vorsichtig zu sein und technisch überall den Fuß drin zu haben“, sagt Luca Sra. „Wir wollten technologiebereit sein, und das sind wir.“ Iveco habe die Entwicklung vorwegnehmen wollen. Abgesehen von Gasantrieb, leichten und schweren Elektro-Lkw, habe man schon vor einigen Jahren mit Entwicklungsarbeit an Antrieben mit wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen begonnen. Während andere Hersteller solche Lkw für die kommenden Jahre angekündigt haben, sagt Sra, dass Iveco noch 2024 davon ein erstes Kontingent ausliefern werde.
Großes Bedauern kommt darüber, dass die Antriebe mit Biodiesel von den europäischen Institutionen nicht ernst genug genommen würden: „Grundlage dafür ist die traditionelle Technik, sie sorgt aber gegenüber dem Betrieb mit fossilem Diesel netto gesehen für eine beträchtliche Einsparung an CO2-Ausstoß. Die Kosten für den Lkw liegen nur 25 Prozent höher als beim gewöhnlichen Diesel, während sie mit Elektroantrieb zweieinhalb- bis dreimal so teuer sind. Und gleichzeitig lassen sich auch problemlos Langstrecken bewältigen.“
Auf den auf der Nutzfahrzeugmesse von vielen Herstellern in den Vordergrund gestellten Elektroantrieb blickt der Lkw-Chef von Iveco mit einer großen Dosis Skepsis: „Für örtlichen Personentransport, für lokalen oder regionalen Verteilerverkehr ist der Elektroantrieb unvermeidbar. Wenn man von internationalen Transporten spricht, ist der Elektroantrieb heute nicht von Vorteil.“
Mit der Elektroversion des Lieferwagens Daily, der bei der Nutzfahrzeugmesse IAA 2022 vorgestellt und seit 18 Monaten ausgeliefert wird, hatte Iveco bisher Erfolg. 5000 Stück seien bereits abgesetzt, berichtet Sra.
Der Lieferwagen mit 120 kWh Batterie habe eine Reichweite von 400 Kilometern und könne in 20 Minuten Energie für zusätzliche 100 Kilometer laden. Damit ist er prädestiniert für lokalen und regionalen Verkehr. Vom Schwerlaster namens S-Way wurde auf der IAA in Hannover eine Elektroversion mit festem Aufbau vorgestellt, mit 490 kWh Batteriekapazität, 400 Kilometer Reichweite und der Möglichkeit, in 45 Minuten weitere 200 Kilometer Strecke zu laden. Der erweitert das Angebot neben der elektrischen Sattelschlepperversion. Doch allen ist klar, dass bei den üblichen Langstreckentransporten täglich bis zu 800 Kilometer gefahren werden und dafür der Elektroantrieb noch nicht reicht.
Mehr Schwung für den E-Lastwagen vielleicht erst 2030
Für den Verteilerbetrieb über kürzere Strecken werde der Elektro-Lkw erst einmal für große Unternehmen interessant. DHL oder Amazon könnten mit einem emissionsfreien Transport werben und damit Fortschritte machen auf dem Weg zu ihren Nachhaltigkeitszielen. Doch für andere Kunden ist die Luft noch dünn. „Der Elektroantrieb ist nicht durchgestartet, die Bestellquoten sind in diesem Jahr gefallen“, berichtet Luca Sra.
Für die Hersteller besteht die Motivation zur Einführung im Streben nach Vermeidung von Strafabgaben für zu hohe CO2-Werte der verkauften Flotte. Erst in einem zweiten Schritt könnten dann bei größeren Verkaufszahlen Skaleneffekte helfen, sagt Sra, womöglich auch die Technik einer zweiten Batteriegeneration oder Strafabgaben der Regierungen gegen die Nutzung von Dieselantrieben. „Aber diese Effekte kommen vielleicht 2028 oder 2030.“
Mit größeren Stückzahlen könne dann eventuell auch die Infrastruktur besser werden. Vorerst blickt der Italiener Sra nicht nur auf das lückenhafte Ladenetz für Elektro-Lkw in Deutschland. Für ihn gibt es noch weiter gehende Fragen: „Was kann man machen, wenn ein Elektro-Lkw nach Italien fahren muss und ab dem Brenner das Ladenetz richtig dünn wird?“
Neben den Grundsatzfragen des Elektroantriebs steht die Branche noch vor einem zusätzlichen Problem: Elektro kann sich am ehesten rechnen bei leichten Transportern, dann irgendwann bei den richtig schweren Lkw mit mehr als 16 Tonnen, von denen in Europa 2023 rund 267.000 zugelassen wurden. Aber dazwischen liegt eine Kategorie leichter Lkw mit Gesamtgewicht von 3,5 bis 16 Tonnen, von denen jährlich von allen Marken nur 80.000 verkauft werden. Diese kleine Zahl, von der anfangs nur ein kleiner Prozentsatz mit Elektroantrieb bestellt wird, macht die Entwicklung spezifischer kleiner Lkw unrentabel. Da bleibt nichts anderes übrig, als einzelne, eigentlich für schwere Lkw entwickelte Bauteile in die kleinere Klasse zu übernehmen.
Hohe Preise für Wasserstoff „disqualifizieren“ die Technologie
Weiter als die eher für kurze Strecken geeigneten Elektro-Lkw kommt der Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw. Dem werden jetzt schon Reichweiten bis 800 Kilometer zugetraut. Damit wäre er geeignet für die Langstrecke. „Das ist im Moment die teuerste Antriebslösung. Die hat die Komplikationen des Elektro-Lkw mit einem weiteren Element für einen chemischen Prozess.“ Schließlich wird mit Wasserstoff erst Strom erzeugt, der dann zwischengespeichert werden muss und dann für einen Elektroantrieb verwendet wird. Ein Verbrennermotor mit Wasserstoff kostet deutlich weniger.
Am Ende sei aber der Einsatz von Wasserstoff auch eine Frage des Preises. Wettbewerbsfähig sei dieser Antrieb nur mit Preisen von fünf bis sechs Euro für ein Kilogramm Wasserstoff. Doch gegenwärtig beträgt er noch ein Mehrfaches. „Und das disqualifiziert im Moment diese Technik vom Markt.“ Selbst beim E-Antrieb stelle sich ja auch noch die Frage, wer dafür bezahle. Entweder gebe es Subventionen, oder die Technik werde irgendwann billiger.
Für den Lastwagenchef von Iveco gibt es für den Moment zwei Schlussfolgerungen: „Mit allen Antriebstechniken wird es unter den derzeitigen Bedingungen teurer, einen Lastwagen zu betreiben.“ Für Iveco laute die Konsequenz: „Wir müssen opportunistisch und agil sein, denn wir sind ja nicht einer der Riesen auf dem Markt.“