Wieder ein neuer Chef bei CNN: Anfang des Jahres 2022 musste Jeff Zucker seinen Posten räumen, weil er eine einvernehmliche Beziehung mit einer Kollegin seinem Arbeitgeber nicht angegeben hatte. Auf ihn folgte, von großen Hoffnungen begleitet, der Produzent Chris Licht, der sich beim Sender CBS Meriten erworben hatte, bei CNN aber kein Bein auf den Boden bekam. Nun soll ein Veteran des internationalen Mediengeschäfts die Dinge richten: Mark Thompson, der mit der BBC und der „New York Times“ bereits zwei große Medienkonzerne in der Krise zu stabilisieren vermochte. Im Oktober soll der 66-Jährige das Viererteam ablösen, das zurzeit den Sender leitet.
„Wir sind großem Druck ausgesetzt“
In einem Memo an die CNN-Belegschaft schrieb Thompson vor wenigen Tagen: „Der Fernsehjournalismus befindet sich in einer gewaltigen Umwälzung. Wir sind großem Druck aus allen Richtungen ausgesetzt – strukturell, politisch, kulturell.“ Es gebe keinen Zauberspruch, nach dem man handeln könne, so Thompson. „Aber wo andere Bedrohung sehen, sehe ich Chancen – ganz besonders im Hinblick auf CNNs große Marke und journalistische Stärke.“
Die Marke CNN ist indes in den letzten Jahren nicht nur im Hinblick auf die Konkurrenz mit Fox News und MSNBC ins Hintertreffen geraten. Unter anderem weil der Sender zu sehr mit sich selbst und mit verqueren Interessenskonflikten beschäftigt war. So war der langjährige Senderchef Jeff Zucker mit der CNN-Managerin Allison Gollust zusammen, die zuvor Kommunikationschefin des damaligen New Yorker Gouverneurs Andrew Cuomo war. Der wiederum stand mit seinem jüngeren Bruder, dem CNN-Starmoderator Chris Cuomo, im Zentrum eines peinlichen Skandals. Chris Cuomo hatte seinen Bruder mehrfach zu launigen Plaudereien in seine Sendung eingeladen und beriet diesen bei dessen Bemühungen, Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe abzuschmettern. Die Cuomos und Jeff Zucker verloren über diese Skandale ihre Jobs; der journalistische Ruf von CNN nahm schweren Schaden.
Die Cuomo-Affäre wirkt nach
Nach Zuckers Abgang berief David Zaslav, Chef von CNNs Mutterfirma Warner Bros. Discovery, mit Chris Licht einen hoch angesehenen TV-Produzenten zum CNN-Chef, der den durch die Cuomo-Affäre ausgelösten Glaubwürdigkeitsverlust wettmachen und wieder mehr auf harten Journalismus als auf Meinungs- und Promistücke setzen sollte. Aber Lichts Plan, den Sender stärker „in der Mitte“ positionieren zu wollen, stieß bei CNNs Journalisten auf Befremden und Befürchtungen, Licht wolle den Sender bei der extremen Rechten in Amerika anbiedern. Hinzu kam, dass sich Lichts Mitarbeiter aus Mangel an einem klaren Leitfaden und wegen seiner Distanz zur Belegschaft zunehmend verunsichert fühlten. Im April wurde mit Don Lemon ein weiterer Star des Senders wegen frauenfeindlichen und allgemein herablassenden Verhaltens entlassen. Als im Mai ein umstrittenes, von Licht initiiertes Townhall-Meeting mit Donald Trump auf CNN zur peinlichen Wahlkampfrallye wurde, musste Licht nach nur einem Jahr wieder abtreten.
Nun also soll Thompson es richten. Der in London geborene Sohn einer Irin und eines Engländers hatte 1979 bei der BBC als Produktionsassistent begonnen. Von 2004 bis 2012 führte er als Generaldirektor das Medienunternehmen durch eine turbulente Dekade, die von Entlassungen, Auslagerung von Betriebsbereichen und einer generellen Verschlankung des Senders geprägt war. 2012 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der New York Times Company berufen. Thompson baute die internationale Reichweite der „Times“ und ihren Onlineauftritt entscheidend aus. Als er im Sommer 2020 die Geschäfte abgab, hatte die „Times“ mit mehr als fünf Millionen digitalen Abonnenten etwa zehnmal so viele wie bei seinem Amtsantritt; heute sind es nach Angaben der Zeitung rund neun Millionen. Danach wirkte Thompson als Berater des Aufsichtsrats und des Vorstands des Springer-Konzerns, der sein Portfolio auf dem amerikanischen Medienmarkt merklich erweitert hat und auf diesem Weg zur weltweiten Medienmarke wachsen will. Auch da dürfte Thompson im Hintergrund eine wichtige Rolle gespielt haben. Sein Mandat bei Springer hat er nun niedergelegt.
Bei CNN lasten abermals hohe Erwartungen auf dem Engländer. „CNNs neuer Weißer Ritter“ titelt der „New Yorker“, den „Briten mit dem großen Hirn“ nennt ihn „Deadline“ und meint, er verfüge über „einzigartige Fertigkeiten zur Rettung von CNN“. „Vanity Fair“ fragt, ob Thompson „CNNs magic bullet“ ist, der lang erwartete Wunderheiler sozusagen. CNN liegt unter den amerikanischen Nachrichtensendern abgeschlagen auf dem dritten Platz hinter Fox News und MSNBC, die mit daueraufgeregtem Meinungsjournalismus zu Trumps Anklagen um die Quotenkrone ringen und mit 1,4 und 1,3 Millionen durchschnittlichen Primetime-Zuschauern im Juni mehr als doppelt so viele wie CNN mit 635.000 verzeichnen konnten. Unter anderem braucht der Sender eine Strategie, wie er sich im bereits angelaufenen Wahlkampf um die Präsidentschaft 2024 journalistisch aufstellen will. Lichts Townhall, in dem er hoffte, Trump mit Fakten beikommen zu können, und spektakulär scheiterte, hat gezeigt, wie man es lieber nicht machen sollte.