Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat den Kampf gegen die überbordende Bürokratie und die Reform der Justiz als prioritäre Regierungsaufgaben für das Jahr 2024 genannt. Bei der ursprünglich für Ende 2023 vorgesehenen, aber wegen einer Erkrankung Melonis auf Donnerstag verschobenen Pressekonferenz beklagte sie, dass langwierige bürokratische und juristische Verfahren auch ein wesentliches Investitionshindernis für Unternehmen aus dem Ausland seien. Angesichts der Krisen und Kriege in Europa und im Nahen Osten sowie des italienischen Vorsitzes in der G-7-Gruppe 2024 stehe die Regierung in Rom vor einem „komplexen Jahr“, sagte die Ministerpräsidentin.
Was die Öffentlichkeit in Italien jedoch am meisten interessierte, war die Frage, wie es mit Melonis Parteikollegen Emanuele Pozzolo weitergeht. Er hatte eine Waffe zu einer Silvesterparty mitgebracht, aus der sich wohl versehentlich ein Schuss löste und einen Mann verletzte. Meloni sprach sich für die Suspendierung seiner Parteimitgliedschaft aus. Das Verhalten des Abgeordneten verurteilte sie als unverantwortlich. Pozzolo selbst lehnt es bisher ab, seine Partei- oder Fraktionsmitgliedschaft bis zum Abschluss eines aufgrund des Vorfalls gegen ihn eingeleiteten Verfahrens ruhen zu lassen.
Pozzolo beteuert seine Unschuld
Pozzolo hatte zu der privaten Feier seine geladene Handfeuerwaffe mitgebracht und diese herumgezeigt. Der Schuss löste sich dabei unter bislang ungeklärten Umständen und traf einen der Anwesenden in die Wade. Der leicht verletzte Mann konnte noch an Neujahr aus dem Krankenhaus entlassen werden, nachdem das Projektil aus seinem Bein entfernt worden war. Pozzolo ist seit vielen Jahren Mitglied der von Meloni geführten rechtskonservativen Partei Brüder Italiens und wurde nach längerer Tätigkeit in der Kommunalpolitik in der Region Piemont bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom September 2022 erstmals ins Parlament in Rom gewählt.
Pozzolo muss sich nun wegen des Vorwurfs der Körperverletzung und des unsachgemäßen Umgangs mit einer Schusswaffe verantworten. Entgegen übereinstimmenden Zeugenaussagen, wonach sich der Schuss gelöst habe, während Pozzolo die Waffe in der Hand gehalten habe, bleibt der 38 Jahre alte Abgeordnete bei seiner Darstellung, jemand anderes habe versehentlich den Schuss ausgelöst. Die Behörden beschlagnahmten die Waffe und zogen auch Pozzolos Waffenschein ein.
Oppositionsführerin fordert eine Entschuldigung von Meloni
Italienischen Medienberichten zufolge hat Pozzolo eine Sondergenehmigung zum ständigen Tragen einer Handfeuerwaffe zur Selbstverteidigung erhalten, nachdem er seine Solidarität mit der iranischen Opposition bekundet hatte. Er habe sich danach unbestimmten Drohungen ausgesetzt gesehen. Bei der Durchsuchung der Wohnung Pozzolos wurden weitere sechs Feuerwaffen aufgefunden, die nach Angaben der Behörden ebenfalls beschlagnahmt werden sollen.
Der Vorfall von der Neujahrsnacht hatte ein weites Medienecho in Italien gefunden. Oppositionsführerin Elly Schlein von den Sozialdemokraten hatte Meloni vor deren Pressekonferenz aufgefordert, sich für den gefährlichen Zwischenfall zu entschuldigen. Der Aufforderung kam Meloni zwar nicht nach, äußerte aber ihre Bereitschaft, sich während der Kampagne für die Europawahl im Juni einem Kandidatenduell mit der Oppositionsführerin zu stellen. Ob sie selbst als Spitzenkandidatin an der Wahlkampagne teilnehmen werde, ließ Meloni noch offen. Als Ziel für die Europawahl gab die Regierungschefin in der Pressekonferenz an, im Straßburger Parlament eine Mehrheit der konservativen Kräfte zu erreichen.
Meloni führt seit Oktober 2022 eine Mitte-rechts-Koalition ihrer Partei Brüder Italiens mit der rechtsnationalen Lega unter Verkehrsminister Matteo Salvini und der christdemokratischen Forza Italia unter Führung von Außenminister Antonio Tajani. Mit Blick auf die mögliche Zusammenarbeit mit rechtsgerichteten Parteien in anderen EU-Staaten, etwa mit der Partei Rassemblement National der französischen Politikerin Marine Le Pen, gebe es derzeit noch „unüberwindbare Hindernisse“, so die Ministerpräsidentin. Meloni konzedierte, dass sie ihr Wahlversprechen einer deutlichen Reduzierung der illegalen Migration bisher nicht habe einlösen können. Dank der Zusammenarbeit mit Tunesien und Libyen habe aber verhindert werden können, dass Zehntausende weitere Migranten über das zentrale Mittelmeer Italien erreichten. Im Vergleich zum Vorjahr hatte Italien 2023 einen Anstieg um rund 50 Prozent auf 157.652 registrierte Ankünfte von Migranten verzeichnet.