Man kann Wladimir Schirinowskij als Vorreiter beschreiben. Der russische Radaupolitiker schimpfte schon auf Amerikaner, Ukrainer und andere, als in Moskau offiziell noch mildere Töne gängig waren. Jahrelang galt Präsident Wladimir Putin vielen im Westen auch deshalb als gemäßigt, weil es Leute wie Schirinowskij gab, der dazu aufrief, Atombomben zu werfen und Gebiete zu erobern. Viele Russen messen Schirinowskij, der bald nach Putins Überfall auf die Ukraine starb, gar prophetische Qualitäten zu: Bei einem seiner letzten Auftritte lobte er Ende 2021 Putins Drohungen gegen den Westen und sagte, 2022 werde „kein friedliches Jahr“, sondern eines, in dem Russland wieder groß werde.
Dieser Tage lohnt es sich, an einen anderen Auftritt Schirinowskijs zu erinnern: Im November 2016 stieß er im Kreise seiner Partei mit Sekt auf den Sieg Donald Trumps bei der amerikanischen Präsidentenwahl an, sprach von einem „historischen Moment“, wie es ihn zwischen Russland und den Vereinigten Staaten seit 1945 nicht mehr gegeben habe. „Wir können Verbündete in Syrien werden, Verbündete in der Ukraine“, triumphierte Schirinowskij. „In der NATO kann es Veränderungen geben. Die Amerikaner können die Finanzierung einstellen. Überall kann es Veränderungen geben.“
Der Politikveteran erfasste den Geist des Augenblicks. 2016 hatte Moskau nicht nur, wie amerikanische Ermittlungen aufgezeigt haben, verdeckt mit Hetzern und Hackern für Trump in den Wahlkampf eingegriffen. Putins Politik- und Medienapparat hatte ganz offen für „unseren Freund“ geworben.
Dabei rechnete auch der Kreml damals mit einem Sieg der Demokratin Hillary Clinton, die für Putin spätestens seit ihrem Eintreten für demokratische Wahlen in Russland eine persönliche Feindin war. Die auf das Heimatpublikum gemünzte Erzählung zur Wahl lautete, ein „russophobes“ amerikanisches „Establishment“ werde Trumps Sieg mit Manipulation oder Mord verhindern, um eine mögliche Entspannung mit Moskau zu torpedieren. Die Botschaft deckte sich mit Trumps eigener Zersetzungsmission.
Es geht Moskau darum, Misstrauen zu verbreiten
Doch als sich in der Wahlnacht 2016 Trumps Sieg abzeichnete, musste Moskau diese Manipulationsmär aussetzen. Es brach eine kurze Euphorie aus, ehe der Kreml die selbst geschürten Erwartungen an einen Präsidenten Trump dämpfte. Dieser Überschwang erklärte Schirinowskijs Trinksprüche ebenso wie einen damaligen Tweet der Chefin des Staatssenders RT, Margarita Simonjan, sie wolle mit einer amerikanischen Flagge durch Moskau fahren, oder eine Initiative in der Stadt Rjasan südöstlich von Moskau, eine noch aus sowjetischer Zeit so heißende „Gottlose Straße“ zu Ehren Trumps umzubenennen.
Daraus wurde nichts. Die Einmischung in die Präsidentenwahl 2016 trug Moskau Sanktionen ein, die bis zum Überfall auf die Ukraine 2022 die schwersten blieben. Russische Hoffnungen, Trump könne Putins Annexion der Krim anerkennen, erfüllten sich nicht. Vielmehr erlaubte er 2018 den Verkauf von Javelin-Panzerabwehrraketen an die Ukraine, den sein Vorgänger Barack Obama noch abgelehnt hatte; indes durfte Kiew sie erst im großen Krieg benutzen.
Bei Trumps gescheitertem Wiederwahlversuch 2020 säte Moskau keine Hoffnungen mehr, sondern beschränkte sich auf das Standardprogramm, Misstrauen zu verbreiten. Es kostete Trumps Fälschungsgeschichten entsprechend aus. So ist es auch dieses Jahr.
Kein Schaumwein für Trump
Es dürfte es zu Putins typischem Piesacken gehört haben, dass er zunächst im Februar sagte, Präsident Joe Biden sei gegenüber Trump vorzuziehen, da der Amtsinhaber „erfahrener“ und „vorhersehbar“ sei, und dann Anfang September scherzte, Russland werde nun Kamala Harris „unterstützen“. Putin lobte, dass Harris „ansteckend lacht“ – und griff so eine Äußerung Trumps auf, der aus dem Lachen seiner Gegnerin ersehen haben wollte, diese sei „verrückt“.
Die einst „Gottlose Straße“ in Rjasan heißt seit eineinhalb Jahren nach einem nahen Bahnhof, und wenn Trump die diesjährige Präsidentenwahl gewinnen sollte, wird in der Duma mit Sicherheit kein Schaumwein geöffnet. Auch in diesem Wahlkampf hat Washington Moskau Einmischung vorgeworfen und neue Sanktionen verhängt, etwa gegen RT und Simonjan, wegen Versuchen, die Unterstützung für die Ukraine zu diskreditieren.
Amerikas für Kiew überlebenswichtige Waffenhilfe dürfte bei einer neuen Präsidentschaft Trumps stärker infrage stehen als unter einer Präsidentin Harris. Trump hat behauptet, mit ihm als Präsidenten hätte Putin nie die Ukraine angegriffen und er werde als Präsident den Krieg „in 24 Stunden“ beenden. Putin begrüßte jüngst zum Ende des Kasaner BRICS-Gipfels Trumps Äußerungen zu einem Ende des „Konflikts in der Ukraine“ ebenso wie alle „Erklärungen solcher Art, von wem auch immer sie kommen“. Während Harris Bündnistreue beteuert, hat Trump den Russen anheimgestellt, mit NATO-Mitgliedern, die nicht genug für ihr Militär ausgeben, zu „machen, was immer sie wollen“.
Doch Trump ist auch für Moskau unvorhersehbar, wie sich schon 2017 zeigte, als er auf einen Giftgaseinsatz durch Putins syrischen Schützling Baschar al-Assad mit einem Raketenangriff antwortete und dazu auf „grausam ermordete schöne Babys“ verwies. Putin setzt darauf, dass die Unterstützung des Westens für Kiew mit Trump vielleicht etwas schneller, aber unabhängig vom Sieger der amerikanischen Wahl nachlässt. Er lässt keine Zweifel daran, dass er an seinem Ziel festhält, die Ukraine zu unterwerfen.