Die Hoffnung, dass die neunstündigen Verhandlungen von Bund und Ländern zur Migrationspolitik endlich Ruhe in die erhitzte Debatte bringen würden, war schnell dahin. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wartete nach der Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Ministerpräsidenten Hessens und Niedersachsens, Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD), am frühen Morgen gerade mal ein paar Stunden ab, bis er über die Plattform X verbreitete, es sei zwar positiv, dass sich etwas bewegt habe. Aber: „Negativ: Das reicht noch nicht.“
Das war die Kurzform der ausführlichen „Protokollerklärungen“, die die Freistaaten Bayern und Sachsen dem zehn Punkte umfassenden Beschluss von Bund und Ländern angehängt hatten. Eine Reihe unerfüllter Forderungen wurde aufgeführt; vor allem eine „realistische Integrationsgrenze“ verlangen München und Dresden. Das ist die jüngere Variante der früheren Obergrenze, die schon zu Zeiten von Kanzlerin Merkel für langanhaltenden Streit über die Asylpolitik geführt hatte. Des weiteren hieß es, man müsse die Migrationsfrage neu „überdenken“. Das gelte auch für das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form. Außerdem sollten die Sozialleistungen für Asylsuchende in Deutschland auf das europäische Maß gesenkt werden. Schon am Dienstagmorgen ist also klar: Der Streit um die Asylpolitik wird weitergehen.
Überraschende Einigung bei Kostenübernahme
Dabei haben Bund und Länder einiges erreicht. Vor allem der zehnte und letzte Punkt des gemeinsamen Beschlusses ist interessant und auch überraschend. Monatelang hatten Bund und Länder über die Kosten für die Versorgung von Asylsuchenden in Deutschland gestritten, die Länder forderten stets mehr, als das Kanzleramt geben wollte. Nun einigten sich beide Seiten auf ein „atmendes System“ anstelle des bisherigen festen Betrags. Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Flüchtling eine sogenannte Pro-Kopf-Pauschale von 7500 Euro jährlich. Der Gesamtbetrag steigt oder fällt damit je nach Zahl der Flüchtlinge. Für die erste Hälfte des kommenden Jahres wird eine Abschlagszahlung von 1,75 Milliarden Euro an die Länder überwiesen.
Zudem sollen die Länder noch bei den Leistungen für die Asylsuchenden (etwa in den Gemeinschaftseinrichtungen) entlastet werden. Bund und Länder haben ausgerechnet, dass alles zusammengenommen zu einer Entlastung der Länder und Kommunen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr führen wird. Selbst wenn die Zahl der Asylbewerber durch die vereinbarten Maßnahmen 2024 stark sinken sollte, will der Bund auf jeden Fall eine Milliarde an Länder und Kommunen als „Flüchtlingspauschale“ überweisen, damit die Infrastruktur für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen erhalten werden kann.
Unions-Vorstoß zu verkürzten Verfahren misslungen
Asylverfahren sollen beschleunigt werden, aber nicht auf die Weise, wie die Ministerpräsidenten der Union sich das ursprünglich vorgestellten hatten. Sie wollten für Staatsangehörige aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent ein Verfahren einführen, das bislang nur für sichere Herkunftsstaaten gilt. Damit konnten sie sich nicht durchsetzen, auch weil die Absprache zwischen den Ministerpräsidenten auf der Konferenz im Oktober in Frankfurt missglückt war und dieser Vorstoß der Union daher erst spät vorgelegt wurde. Nun soll die Beschleunigung vor allem durch einen Aufbau von Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und an den Verwaltungsgerichten bewerkstelligt werden.