Guter Empfang ist hierzulande eher eine freudige Überraschung als Standard. Um das zu ändern, hat die Bundesnetzagentur die großen Netzbetreiber zur Schließung von Funklöchern verpflichtet. Wie steht es um unseren Mobilfunk?
Noch schnell eine WhatsApp-Nachricht übers WLAN verschicken, weil draußen kein 4G-Empfang mehr herrscht: Das ist in vielen deutschen Dörfern Realität. Wer im „Funkloch“ lebt, kann sein Handy nicht wie gewohnt nutzen.
Erst vor kurzem erschien im „Deutschlandfunk“ ein Beitrag mit dem Titel „Viele Löcher machen noch kein Netz“, der auf die Problematik aufmerksam macht. Doch sind wir hierzulande wirklich so schlecht aufgestellt, was den Empfang auf dem Smartphone betrifft?
Ifo-Institut: „Gute flächendeckende Versorgung“
Das Ifo-Institut sagt: Nein. Zumindest vor zwei Jahren noch. Denn Ende 2021 veröffentlichten die Experten eine Zusammenfassung des Ausbaus der mobilen Datennetze von 2010 bis 2020.
In dieser Zeit seien mehr als 33.000 neue Mobilfunkstandorte errichtet worden, die laut Ifo-Einschätzung eine „insgesamt gute flächendeckende Versorgung“ gewährleisten.
Nichtsdestotrotz existierten auch heute noch zahlreiche „weiße Flecken“ auf deutschem Boden, die meisten davon in Süddeutschland. Dabei handelt es sich um Gebiete, in denen weder 4G/LTE- noch 5G-Funksignale empfangen werden, also eine sehr schlechte Mobilfunkversorgung besteht.
Die drei großen Netzbetreiber Deutsche Telekom, Telefónica Deutschland und Vodafone hatten sich ursprünglich vor der Bundesnetzagentur dazu verpflichtet, in 500 4G-Funklöchern bis Ende letzten Jahres neue Funkstationen aufzubauen.
Unternehmen sehen Schuld nicht bei sich
Erfolgreich gewesen sei jedoch „keiner der drei wirklich zu hundert Prozent“, sagte Beiratsmitglied Reinhard Houben (FDP) im Mai.
Die Netzbetreiber sehen das offenbar anders. Eine Vodafone-Sprecherin erklärt auf Nachfrage von FOCUS online: „Wir sind der Auffassung, dass wir die Ausbauziele der Bundesnetzagentur zum 31.12.2022 erfüllt haben, sofern uns das rechtlich und faktisch möglich war.“
Ein Sprecher der Telekom teilte FOCUS online schriftlich mit: „Der Auflage zufolge musste die Telekom einen Teil dieser Funklöcher schließen. Dies haben wir inzwischen geschafft.“
Keine genauen Daten der Bundesnetzagentur vorhanden
Wie die Realität aussieht, kann auch die Bundesnetzagentur nicht sagen. Die Behörde erklärt auf Anfrage, bei der Festlegung der 500 zu versorgenden weißen Flecken seien seitens der Bundesländer keine einheitlichen Kriterien angewandt worden.
Auch darüber, wie viele weiße Flecken es genau gibt, kann die Bundesnetzagentur keine genaue Auskunft geben. Sie erklärt zwar, dass der prozentuale Flächenanteil weißer Flecken bundesweit im April 2023 bei etwa 2,6 Prozent lag (November 2021: 3,8 Prozent).
Davon befinde sich aber der überwiegende Teil in dünn besiedeltem Raum, sei kleingliedrig verstreut und deshalb nicht „quantifizierbar“.
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr ging in seiner Versorgungs- und Kostenstudie aus dem Jahr 2020 jedoch davon aus, dass es auch in den Folgejahren rund 4400 weiße Flecken in Deutschland geben wird.
Wo sollen die Funkmasten hin?
Eine große Herausforderung beim Mobilfunkausbau ist das Finden geeigneter Standorte für die Mobilfunkmasten. Dieser Prozess nimmt vor allem durch die sogenannte NIMBY-Problematik („not in my backyard“ – „nicht in meinem Garten“) Zeit in Anspruch.
Damit ist die mangelnde Bereitschaft gemeint, Flächen zur Verfügung zu stellen. Oft werden in diesem Zusammenhang Denkmal- oder Naturschutzbedenken vorgebracht.
Kommunen, Bürgerinitiativen oder Nationalparkverwaltungen, die sich gegen die Errichtung von Mobilfunkbasisstationen sträuben, sorgen dann für Verzögerungen. Ein Telekom-Sprecher merkte an, dass der Widerstand gegen Mobilfunkstandorte aus der deutschen Bevölkerung im Vergleich zu anderen Ländern „eher stärker“ sei.
Dazu kommt, dass sich nicht jeder Standort für den Mobilfunk eignet. Selbst, wenn es keine Proteste gibt, muss bei der Lage der neuen Funkmasten auf das bestehende Netz geachtet werden. Auch die natürlichen Gegebenheiten müssen stimmen. Das kann den Suchradius einschränken.
Das Funkloch Bahn
Als „legendär schlecht” bezeichnet die „Neue Züricher Zeitung“ (NZZ) die Netzqualität in deutschen Zügen. Von der Telekom heißt es jedoch, alle ICE- sowie hochfrequentierte Strecken seien „nahezu voll versorgt“.
Trotzdem hat die „NZZ“ nicht ganz Unrecht. Problematisch ist vor allem, das Signal in den Zug zu bringen. Der besteht aus vielen Tonnen Metall und besitzt obendrein Fensterscheiben mit Metallschicht, die verhindern, dass Signale durchkommen.
Die Bahn hat dafür sogenannte Repeater, eine Art Verstärker. Diese funktionieren jedoch nicht immer einwandfrei und sind nicht zwangsläufig auf 5G ausgelegt.
Obendrein führen manche Bahnlinien durch Naturschutzgebiete, in denen keine Antennenstationen aufgestellt werden dürfen. Das macht die Mobilfunkversorgung im Zug schwieriger.
Täglich grüßen die Genehmigungsverfahren
Abseits des Zugbetriebs sind die Hauptgründe für die vielen Verzögerungen beim Mobilfunkausbau Bürokratie, Genehmigungsverfahren und lange Planungsprozesse.
„Nahezu die Hälfte der durchschnittlich veranschlagten 24 Monate für die Errichtungsdauer eines Mobilfunkstandortes fallen auf ein Genehmigungsverfahren“, erklärt Frederic Ufer, Geschäftsführer des Verbands für Telekommunikations- und Mehrwertdienste (VATM), auf Anfrage von FOCUS online.
Andere Länder seien teilweise mehr als doppelt so schnell. Dem stimmen Vera Demary und Christian Rusche zu, die im Bereich Digitalisierung am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) tätig sind.
Der schnellere Mobilfunkausbau in anderen Ländern sei nicht nur durch weniger bürokratische Hürden, sondern auch einfacher zu beantragende Förderungen für die Projekte zu erklären.
Mehr Hürden als nur Bürokratie
Im Ausland amüsieren sich einige Beobachter darüber, dass es die größte Volkswirtschaft Europas offenbar nicht schafft, ein flächendeckendes 4G-Funknetz aufzubauen. Doch das liegt auch an geografischen Faktoren.
„Deutschland hat hinsichtlich der Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur die Besonderheit, dass Bürger und Unternehmen weit verteilt in der Fläche in vielen Groß-, Mittel- und Kleinstädten sowie dem ländlichen Raum angesiedelt sind“, so VATM-Chef Frederic Ufer.
Das sei in anderen Ländern zum Teil nicht der Fall. Dort leben laut Ufer mehr Menschen auf einem Fleck, was die Mobilfunkversorgung einfacher mache.
Ist Deutschland wirklich untätig?
Dass sich Deutschland in Sachen Mobilfunk einfach zurücklehnt, ist aber auch nicht richtig: „Aktuell sehen wir zahlreiche Anpassungen der Landesbauordnung, die auf Beschleunigungspotentiale (…) mobilfunkausbauender Unternehmen eingehen”, erklärt Ufer.
Dabei geht es laut dem Experten vor allem darum, dass Anlagen bereits als genehmigt gelten sollen, wenn die Behörden innerhalb eines gewissen Zeitraums keine Einwände erhoben haben.
Baden-Württemberg etwa hat im Mai dieses Jahres seine Landesbauordnung angepasst, um Verfahren zu vereinfachen und so den Mobilfunkausbau voranzutreiben. Auch Hessen hat im vergangenen Jahr einen neuen Mobilfunkpakt mit den drei großen Netzbetreibern unterzeichnet und seitdem 271 Mobilfunkstandorte neu in Betrieb genommen.
Wichtig sei laut Ufer, dass kein Flickenteppich aus unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern entsteht. Denn das könne zum „Hemmschuh“ für den Ausbau werden.
1,1 Milliarden Euro für den Mobilfunkausbau
Der Politik scheint das Thema grundsätzlich wichtig zu sein. Im November 2019 beschloss die Bundesregierung eine „Mobilfunkstrategie“ und gründete gleichzeitig die Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG), die dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr unterstellt ist.
Diese wurde mit einem Fördermittelbudget in Höhe von 1,1 Milliarden Euro zur Erschließung der weißen Flecken ausgestattet.
„Der MIG als unabhängige übergeordnete Instanz gelingt es leichter, mit den relevanten Stakeholder:innen in Kontakt zu treten und entsprechende Rahmenverträge abzuschließen“, so Ufer.
Bundesnetzagentur droht Netzbetreibern mit Sanktionen
Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing droht den Anbietern mit Sanktionen für selbst verschuldete Verzögerungen, die von der Bundesnetzagentur verhängt werden müssten.
Die Bundesbehörde bestätigte, dass im Falle von Auflagenverletzungen Strafzahlungen möglich sind. Allerdings gab es in der Vergangenheit Fristversäumnisse, die noch nicht sanktioniert wurden.
Demary und Rusche vom Institut der deutschen Wirtschaft sind der Meinung, dass Strafen grundsätzlich eine hilfreiche Maßnahme sein können. Die Bundesnetzagentur müsse jedoch präzise definieren, was „selbstverschuldet“ bedeutet und wann konkret Strafen drohen.
Ein Sprecher der Telekom äußerte sich wie folgt: „Auflagen sind zu erfüllen (…) Strafen sollen dem Gesetz nach differenzieren zwischen denen, die wirklich bauen wollen und denen, die systematisch beim Ausbau versagen.“
Ansetzen bei Standortfindung und Genehmigungsverfahren
In Fachkreisen ist man sich einig. Der Infrastrukturausbau, aber auch Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden. Das ist laut den IW-Experten ein weitaus größerer Hebel als beispielsweise Strafzahlungen. Auch Frederic Ufer spricht von einer der „Hauptstellschrauben“ für einen schnelleren Ausbau des Mobilfunknetzes.
Für die Netzbetreiber wäre es zudem eine Hilfe, wenn die lokale Bevölkerung sie dabei unterstützen würde, Immobilien zu finden, die als Standorte für Antennen und Mobilfunkmasten infrage kommen.
Wie ein Unternehmenssprecher mitteilte, versucht die Telekom auch auf unkonventionelle Weise, an passende Immobilien zu kommen. Zum Beispiel am Bodensee, wo das Unternehmen per Plakat nach Standorten sucht.
Vor allem die großen Netzbetreiber schauen positiv auf den Mobilfunk in Deutschland. So hieß es von der Telekom, Deutschlands Versorgung sei im Grunde besser als ihr Ruf, das würden unabhängige Tests zeigen.
Telefónica-Chef Markus Haas sagte der „Süddeutschen Zeitung“ im Juni, Ende 2024 werde es keine weißen Flecken mehr geben. Das wirkt kühn, sprechen die Zahlen aus der Versorgungs- und Kostenstudie des Digitalministeriums doch eine andere Sprache.
2030 soll der neue Standard 6G kommen
Interessant ist auch, dass über neue Mobilfunktstandards diskutiert wird, obwohl es hierzulande nach wie vor weiße Flecken gibt. Ende 2022 lag der Flächenanteil Deutschlands, der durch mindestens einen Netzbetreiber mit 5G versorgt wird, bei rund 79 Prozent.
Bis 2030 will die Bundesregierung die Voraussetzungen dafür schaffen, „den neuesten Mobilfunkstandard überall dort verfügbar zu machen, wo Menschen leben, arbeiten und unterwegs sind“.
Doch mehr noch: Die IW-Experten Demary und Rusche erklären, dass ab 2030 bereits der neue Standard 6G eingeführt werden soll. Sie blicken eher pessimistisch auf das Vorhaben. 5G, 6G – manche Dörfer wären schon froh, überhaupt 4G-Netz zu haben.
chho