Bereits in den ersten zehn Minuten der Serie „The Curse“ wird klar, dass hier etwas nicht stimmen kann. Da quält sich Whitney (Emma Stone) zu einem breiten Lächeln und erklärt, sie werde die Stadt Española ethisch gentrifizieren. Sie ist mit ihrem Ehemann Asher (Nathan Fielder) nach Española gekommen, um „gewissenhaft notleidende Häuser zu verjüngen“ – sie kaufen also die Bruchbuden der Einheimischen auf und machen daraus eine Art „Kunst“, wie Whitney ihre klimaneutralen „passive houses“ gerne sehen würde. Die können sich nur reiche Zugezogene leisten, die Einheimischen hingegen sind auf Mietrabatte angewiesen, die Asher und Whitney aber großzügig verteilen.
Die beiden sind die guten Weltverbesserer, die neue Jobs in Española schaffen, Rücksicht auf die indigene Bevölkerung nehmen und auf das Klima sowie sensible Sprache achten. Zumindest beteuern sie (vor allem Whitney) das ständig vor sich selbst. Und weil sie so gutherzig sind, entwickeln beide auch eine Reality-TV-Show über ihr Vorhaben, damit auch überregional Menschen von ihrer „holistischen Hausphilosophie“ profitieren können. Die Show verantwortet der schamlose Produzent Dougie (Benny Safdie), der weniger an ökologisch-nachhaltigem Bauen oder der lokalen Gemeinde interessiert ist als an den Rissen, die er zwischen Ashers und Whitneys Ehe entdeckt – sie würden die Zuschauer deutlich stärker interessieren, ist er überzeugt.
„The Curse“ ist eine intelligente Satire, deren Humor davon lebt, sich über die Tollpatschigkeit ihrer Hauptfiguren lustig zu machen. Denn Whitney und Asher verzweifeln zunehmend daran, sich in ihrer eigenen Show als erfolgreich und sympathisch zu präsentieren. Rasch fälschen sie auf stümperhafte Weise Handlungen ihrer Reality-TV-Show und opfern teilweise auch ihre Werte, wenn sie dafür Fernsehlieblinge werden. Dabei gibt sich die Serie eine Metaebene, indem sie stellenweise selbst wie eine Reality-TV-Show inszeniert ist: Die Kamera sitzt oft in Gebüschen oder versteckt sich hinter Wänden und filmt Whitney und Asher in intimen Momenten von einer verborgenen Distanz aus. Kaum eine Szene kommt ohne dieses aufdringliche Stilmittel aus. Es vermittelt das Gefühl, wir Zuschauer wären die Voyeure, die eine Reality-TV-Show genießen und sich an der Verletzlichkeit ihrer Figuren ergötzen.
Symptomatisch ist eine Szene, in der Asher einem armen Mädchen 100 Dollar schenkt. Als die Kameras aus sind, verlangt er das Geld zurück. Aber das Mädchen wehrt sich und belegt ihn mit dem titelgebenden Fluch. Eigentlich sollte das nur ein Tiktok-Prank des Mädchens sein, aber Asher nimmt das ernst und wirkt ab sofort noch verunsicherter, als er ohnehin schon ist. Ob wahr oder nicht, das beschreibt genau, was das Paar in den nächsten Folgen durchmachen muss: Sie sind verflucht. Oder noch präziser: Sie sind ein Fluch für fast alle Menschen, die mit dem geltungssüchtigen Paar interagieren müssen.
Szenen voller Stress, Unbehagen und Anspannung
Nathan Fielder, auch einer der Schöpfer der Serie, ist zwar in Deutschland noch weitgehend unbekannt, in den USA jedoch dank seiner parodistischen Reality-TV-Shows berühmt. Ähnlich wie in „The Curse“ spielt er dort Figuren, die sozial unbeholfen sind. In „Rehearsal“ beispielsweise bereitete er Menschen mit akribischen Proben auf unangenehme Gesprächssituationen vor, die sie in ihrem echten Leben bewältigen mussten – die dann natürlich erst recht schiefgingen. Immer wenn man Fielders Figuren sieht, bekommt man das beklemmende Gefühl, in seiner Haut stecke ein Alien, das auf die Menschheit blickt und versucht, sich wie ein Mensch zu verhalten, ohne genau zu wissen, was ein Mensch überhaupt ist. Sein Schauspiel ist derart einnehmend, dass er längst als Meister der „Awkwardness“ gilt.
In „The Curse“ schafft es Fielder, Fremdscham auf ein neues Level zu heben, indem er seine Stärken mit denen seines Ko-Schöpfers Benny Safdie vereint. Safdie, die eine Hälfte des Independent-Regieduos der Safdie-Brothers („Good Time“, „Der schwarze Diamant“), weiß genau, wie man Szenen schreibt, die dem Zuschauer Stress, Unbehagen und Anspannung einflößen. Gepaart mit Fielders Talent zur Unbeholfenheit entwickeln sie „The Curse“ zu einer vielschichtigen Genre-Mischung, die ständig zwischen Cringe-Comedy und Thriller pendelt und oft beides zugleich sein will. Und sie schaffen es, den bizarren Humor, für den sie berühmt sind, auf die Spitze zu treiben.
Wenn Dougie einer hilflosen, krebskranken Frau Wasser ins Gesicht tupft, damit sie vor der Kamera emotionaler wirkt, oder er Ausschnitte seiner „Bachelor“-ähnlichen Datingshow „Love to the Third Degree“ zeigt, in der Verbrennungsopfer vollmaskiert die Liebe ihres Lebens finden sollen, dann weiß man nicht, ob man als Zuschauer noch lachen darf oder schon entsetzt sein sollte. Es ist wichtig, sich in diesen Momenten seiner Intuition zu widersetzen und genau hinzusehen, denn wenn es am unangenehmsten ist, verhandelt „The Curse“ seine wichtigsten Themen. Die Serie arbeitet sich an einer ganzen Palette von Themen ab, von Rassismus, Social-Media-Kritik und Klimaschutz bis hin zu kultureller Aneignung, bissige Kommentare gegen die vermeintliche eigene Zielgruppe inklusive.
Und auch wenn sie natürlich in zehn Folgen keine Lösungen, sondern lediglich Argumente und neue Blickwinkel an die Hand geben kann, bleibt man nach dem nervenaufreibenden Finale fassungslos zurück. Und beginnt, die eigene Herangehensweise an Themen wie Kolonialismus, Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit zu hinterfragen.