Neuer Podcast: Nach der Wiesn in den Puff: Rikschafahrer packt über Oktoberfest-Besucher aus
Die Wiesn wird an diesem Samstag eröffnet. Millionen Besucher werden kommen. Doch was bewegt sie? Alexander Gutsfeld weiß es, denn er fühlt als Rikschafahrer seit neun Jahren den Puls der Wiesn. Und er erzählt es. In seinem Podcast „Das Lederhosen-Kartell“.
An diesem Samstag, 16. September, beginnt das 188. Münchner Oktoberfest. Wenn Oberbürgermeister Dieter Reiter nach erfahrungsgemäß nicht mehr als drei Schlägel-Schlägen auf den Zapfhahn im ersten Bierfass um kurz nach 12 Uhr das berüchtigte „Ozapft is!“ verkündet hat, wird München wieder einmal zwei Wochen lang Kopf stehen.
Beseelt von einem wilden Aromamix aus Bierdunst, Schweiß, Schicki-Parfüm, Erbrochenem und gebrannten Mandeln von einem Bierzeltpartytaumel in den nächsten schunkeln. Alexander Gutsfeld wird dabei sein. Als Rikschafahrer. Und als Chronist, denn er verarbeitet die besten Anekdoten in seinem Podcast „Das Lederhosen-Kartell“.
Die ersten beiden von vorerst sieben Folgen rund um den „Mythos Oktoberfest“ erscheinen am ersten Wiesn-Sonntag, 17. September, um 11 Uhr, danach erscheinen neue Folgen immer sonntags überall, wo’s Podcasts gibt.
Ein Podcast nicht nur für Oktoberfest-Fans
„Das Lederhosen-Kartell“ nennt sich, und das überzeugend, eine „investigative Liebeserklärung an das Oktoberfest“. Der Podcast sei gedacht für: „alle, die die Wiesn lieben. Sie hassen.“ Zu welcher Gruppe Alexander Gutsfeld gehört, wird nicht ganz klar. Er ist, heuer im zehnten Jahr, Rikschafahrer, fährt also – vorzugsweise nachts, wenn die Zelte schließen – das meist angetrunkene Wiesn-Strandgut per Muskelkraft nach Hause oder zur Verlängerung in Clubs, zu Partys oder in Puffs. Aber kann man den Job überhaupt machen, wenn man die Wiesn hasst?
Gutsfeld ist auch Journalist und Podcast-Macher, ein ausgezeichneter zudem. Für den fünfteiligen True Crime-Podcast „Narcoland“ wurde er für den Grimme Online Award nominiert. Das könnte ihm mit „Das Lederhosen-Kartell“ wieder passieren, denn der Podcast ist so süffig, wie eine frisch gezpafte und ordentlich ei’g’schenkte Oktoberfest-Maß um 12.05 Uhr am ersten Samstag im Schottenhamel-Zelt.
„Das Lederhosen-Kartell“: Wie „Goodfellas“, nur über die „Wiesn“
„Das Lederhosen-Kartell“ ist kein Schenkelklopfer-Podcast, er hat einen investigativen Einschlag, bietet schon das, wonach der Titel klingt. Etwas Geheimnisvolles, Insidermäßiges über leicht Anrüchiges. Wie „Goodfellas“, nur über Wiesn statt Mafia. Denn, da macht uns Gutsfeld nichts vor: Bei der Wiesn geht’s nicht um Tradition und Brauchtum. Es geht ums Geld. Und wo die Kohle regiert und sie vom flüssigen Gold des Gerstensaftes unterspült wird, gibt es zwangsläufig eine Menge zu erzählen.
Und so berichten Gutsfeld und sein Co-Autor Simon Garschhammer von mächtigen Bierbrauern und Prostituierten, von Bier, Tracht und Tradition der Eingeborenen und Zugereisten, von Schampus saufenden Schickis und darbenden Bierkrugspülern. Und, in den ersten beiden Folgen „Bier Royal“ und „Der Club“, wie das „Käfer-Zelt“ nicht nur die Wiesn, sondern München veränderte. Und vom „Heart“, dem edelsten und berüchtigsten aller After-Wiesn-Clubs.
Freddie Mercury sagt „Leck mich am Arsch“
Die Podcastfolgen sind liebevoll und aufwendig produziert. Mit echter Musik, zünftigen Humpta und echten Snare-Drums. Gutsfeld erzählt stoisch, unaufgeregt, fast distanziert, aber pointiert. Ab und zu blitzt Ironie oder gar Zynismus durch, was man als Rikschafahrer auf der Wiesn sicher haben muss, um zu bestehen.
Bestechend ist die Recherche. Die Story vom Aufstieg des Gerd Käfer etwa, der seinen kleinen Feinkostladen in München-Bogenhausen zum Nabel der Gastrowelt in der boomenden Isar-Metropole machte, ist mit Interviews mit Gerd und seinem ihm nachfolgenden Sprössling Michael unterfüttert, der erst das P1 zum Top-Club von München und dann die Käfer-Bierschänke zum Top-Zelt der Wiesn machte.
Lola Peitinger erzählt, wie sie mit ihrer ersten Dirndl-Collection dafür sorgte, dass die Tracht ab 1996 bei den Besuchern salonfähig wurde, und dass sie so „in“ wurde, dass sie sogar für die Katze von Katy Perry ein Dirndl entwerfen sollte. Die O-Töne aus Interviews, zum Beispiel ein Freddie Mercury (Ex-Queen-Frontmann), der beweist, wie schön er in München lernte, „Leck mich am Arsch“ zu sagen, bringen noch mehr Authentizität.
Der Staatsanwalt, der das „Heart“ hochnahm, packt aus
Deshalb glaubt man auch alles, was einem unglaublich erscheint. Was vor allem für die Geschichte vom „Heart“ gilt. Da hört man den ehemaligen Koksdealer des Nobelschuppens in der Alten Börse am Lenbachplatz im Herzen Münchens wörtlich sagen: „Der Tresor war voller Koks, bringen Sie das im Podcast“. Gutsfeld unterhielt sich mit einem der damaligen Betreiber des „Heart“. Und eben mit dessen „Hausdealer“. So jedenfalls bezeichnete ihn die Richterin, als sein Fall 2021 abgeurteilt wurde.
Das war, und auch mit ihm redete Gutsfeld, dem damaligen Staatsanwalt zu verdanken. Und vor allem der Tatsache, das der sogenannte Hausdealer „Alexius“ (die SZ nannte ihn damals Stefan H., aber der Name war auch erfunden) seine Ware so reichhaltig selbst konsumierte, dass er einen Unfall baute. Die Polizei wähnte anfangs nur einen kleinen Fisch im Netz (wie „verwegen“ kann man auch sein, bedröhnt am helllichten Sonntagmittag in ein Garagentor zu fahren und dann einzuschlafen?), erkannte dann aber, dass der Mann ein bestens vernetzter Hecht im Drogenteich war.
Auf der Wiesn schneit’s auch heute noch oft
Bei einer Razzia im April 2019 stürmten 160 Polizisten eines Sonderkommandos von der „SoKo Nightlife“ das „Heart“, und alle Gäste mussten – wörtlich – die Hosen ausziehen. Nach der spektakulären Durchsuchung hagelte es Anklagen. Allerdings nicht nur gegen die Club-Betreiber und ein paar Gäste, sondern bald auch gegen Polizisten. Denn auf der Kundenliste von „Alexius“ standen auch Münchner Polizisten. Viele. Gegen 37 Beamte wurde im, so die Medien damals, „größten Polizeiskandal Deutschlands“ ermittelt.
Und Gutsfeld bringt in „Das Lederhosen-Kartell“ alle O-Töne, auch das Fazit von „Alexius“: „Ich hab Scheiße gebaut, wurde erwischt, ich steh’ dazu, fertig, aus, basta. Ich hab meine Hosen runtergelassen.“ Er kam, Kronzeugenregelung sei Dank, glimpflich mit Geldstrafe und Bewährung davon.
„Alexius“ ist nicht mehr aktiv auf der Wiesn, wo er „natürlich“ auch Schnüffelware vertickte. Aber es „schneit“ schon noch auf jeder Wiesn. Letztes Jahr wurde Gutsfeld von einem Kunden eine besondere Belohnung angeboten. Weil er bei der Fahrt mit dem Engländer Matthew bergauf Schwerstarbeit verrichten musste, bot ihm Matthew am Ziel, in seinem Hotel, „ganz viel Kokain“ zur „Auffrischung“ an.
Sammelt Gutsfeld auf der Wiesn 2023 Stoff für neue Podcast-Folgen?
Auch auf die nächsten Folgen darf man sich freuen. In „Sex, Drugs & Blasmusik“ geht’s um Gutsfelds Sonderfahrten zu den Münchner Bordellen. Für die Freudenhäuser ist die Wiesn eine Hochsaison voller Höhepunkte. Zum Oktoberfest verdoppelt sich die Zahl der Sexarbeiterinnen in München. Auch die Rikschafahrer profitieren. Gutsfeld & Co. bekommen 50 Euro Provision, für jeden Wiesn-Gast, den sie dort abladen. Gutsfeld macht auch hier einen guten Job: Er hat „fünf von fünf Sternen im Bewertungsportal“. Er berichtet von Adriana, Mitte 40 (“Ich liebe Sex. Ich liebe meine Arbeit.”), von Juri, dem Straßendealer, und den beiden besoffenen Landwirten aus Mühlheim, die nachts eben nicht nach Hause, sondern in ein einschlägiges Etablissement fahren.
In „Mia san Bier“ geht’s um den Traum einer Münchner Kleinbrauerei, im Wiesn-Konzert der Großen mitzuspielen. „Bavarian Dream“ handelt von zwei amerikanischen Trachtlern, die sich ihren Traum vom Oktoberfestbesuch erfüllen, „Heimat“ von jenen, die die Wiesn am Laufen halten: Spüler, Bedienungen, Schausteller. „Himmel und Hölle“, die letzte Folge, reißt die „Wunde des Oktoberfestes“ auf, die immer noch brennt: das Wiesn-Attentat von 1980.
Gutsfeld radelt auch heuer während der Wiesn. Hoffentlich schürft er neues Anekdotengold und veredelt es zu weiteren Folgen.
Das Original zu diesem Beitrag “Nach der Wiesn in den Puff: Rikschafahrer packt über Oktoberfest-Besucher aus” stammt von Teleschau.
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