Es gibt in der an ziemlich perfekten Bühnen nicht armen Welt des Sports kaum eine perfektere Bühne für Egomanen als den Tennisplatz. Überhaupt wird kaum sonst die bisweilen lästige Komplexität des Daseins des Menschen als sozialen Wesens so effektiv minimiert wie beim Tennis.
Das Setting ist so reduziert, dass auf dem Spielfeld nur noch die Existenz der Doppellinie an die Möglichkeit einer einigermaßen sozial bereichernden Spielart des Wettkampfs erinnert. Oder womöglich auch nur an die Existenz von Mitmenschen. Das Leben? Reduced to the max. Die Figur hinter dem Netz gegen mich. Und ich gegen mich selbst. Und weil es kein Setting gibt, das durch die Aussicht auf sehr viel Geld nicht noch ein bisschen egozentrierter gestaltet werden könnte, erfand der Mensch die Profitour. Und die Fernsehrechte.
Wegen des Geldes und der Fernsehrechte, für die das Geld fließt, für die aber auch Spiele gespielt werden müssen, die gesendet werden, landet Andrea Petković im Januar 2021 in Australien. Es ist der Anfang vom Ende ihrer Karriere als professionelle Tennisspielerin.
Der Ausgangspunkt eines Wegs hinaus ins Leben, in die Komplexität, in die ganze Bandbreite menschlicher Interaktion. Raus aus einem Profisport, der menschliche Fehlbarkeit durch eine Erfindung namens Hawkeye wegrationalisiert hat, rein in ein Leben, dessen Spielstand nicht nach jedem Winner und Fehler vom Schiedsrichter angesagt wird.
Qualen der Quarantäne
Damals, im Januar vor drei Jahren, will Petković noch gar nicht raus aus dem Business. Damals will sie noch mal angreifen. Damals ist aber vor allem Corona. In Melbourne sollen pandemiekonforme Australian Open stattfinden. Die Fernsehrechte. Das Geld. Heißt auch für Petković: Quarantäne im Hotel. Als der Spülkasten des Klos leckt, wird eine halbe Stunde später Werkzeug vor die Tür gelegt. Willkommen im Leben.
Dass Andrea Petković Versuchsanordnungen wie Pandemie, Quarantänehotel (mit Boyfriend) und Wasserschaden erzählerisch gewinnbringend umsetzt, überrascht nicht. Dazu war ihr erster Erzählband „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ aus dem Pandemiejahr 2020 zu souverän. Dazu ist auch die Erzählerin Andrea Petković zu humorbegabt. Viel interessanter sind die grundsätzlichen Fragen, die sie im nun erschienenen Buch „Zeit, sich aus dem Staub zu machen“ begleiten, während sie nach der Tür raus aus der Tenniskarriere sucht. Lohnt sich das überhaupt, dieses Leben? Teile der Antwort könnten sie verunsichern.
Und es werden ja nicht nur „hoffnungsvolle Talente“ (Petković) von der komplexitätsreduzierenden Droge Sport mitgerissen. Das Geld, das für Fernsehrechte gezahlt wird, spricht da eine recht deutliche Sprache. Die Leute wollen das sehen. Und wer wissen möchte, wie sehr sich viele Menschen – na gut, meist Männer, deren körperliche Leistungsfähigkeit zunehmend rückläufig ist – in die übersichtliche Welt des Wettkampfsports jedweden Niveaus zurücksehnen, kann ja Väter mal begleiten, wenn sie ihrem Nachwuchs beim Sport zuschauen.
Andrea Petković ist aber kein Mann. Andrea Petković liegt im „April“ überschriebenen Kapitel ihres nach Monaten gegliederten Buchs in der Badewanne und menstruiert. „Tränen von Ohnmacht und Schmerz stehen mir in den Augen, ein Bodensatz an Würgen und Entwürdigung und Scham.“ Der Profisport verhält sich zum Leben wie der Weltraum zur Erde? Alles so schwerelos, nur eben im Trainingsanzug statt im Raumanzug?
Jungsträume. Eine männliche Hypothese. Petković nimmt sie wie einen Volley. Schmerzverkrampft in der Badewanne. Das ist das Leben einer Sportlerin. Das ist die Schwerkraft. Das ist der Zyklus. Das ist ein Problem.
In dieser Woche veröffentlichte die Sportlervereinigung Athleten Deutschland eine Stellungnahme. Da heißt es: „Die Ergebnisse unserer Gespräche machen deutlich, dass ein geschlechtsspezifisches Training, das die Eigenschaften des weiblichen Körpers berücksichtigt, sehr selten bis gar nicht stattfindet.“ Dass Sportlerinnen ohne gynäkologische Absprache durchgängig die Antibabypille nehmen, um den Zyklus zu unterdrücken, während ihre Trainer keine Ahnung von zyklusbasiertem Training haben. Dass sie nicht mal sprechen können über ihre Regel. Tabu. Willkommen im Sport.
Ihr Text, schreibt Andrea Petković, ist ein Versuch, die Macht über das Narrativ zurückzuerobern. Wenn es noch Hoffnung gibt für den Sport, für die Berichterstattung darüber, Hoffnung darauf, dass es irgendwie doch noch mal besser wird, dann ist es die Tendenz, dass männliche Hypothesen zerlegt werden und das Narrativ weiblicher. Als Sportlerin, sagt Andrea Petković, sei es immer darum gegangen, Fassaden aufrechtzuerhalten. Als Erzählerin gehe es darum, Fassaden einzureißen. Sie hat den Ausgang gefunden. Ihre Erzählstimme wird sich vermutlich entfernen vom Sport. Das ist keine gute Nachricht. Für den Sport.