Als 1994 das Kinopolis im Main-Taunus-Zentrum öffnet, ist das eine Attraktion. Von weit her strömen Kinobegeisterte nach Sulzbach bei Frankfurt, um im ersten und lange einzigen Multiplexkino des Rhein-Main-Gebiets Filme mit moderner Licht- und Klangtechnik zu sehen. Und Popcorn in rauen Mengen zu essen. Fast drei Jahrzehnte später eröffnet das Unternehmen Kinopolis wieder ein hochmodernes Großkino, diesmal in Bad Homburg – und in einer veränderten Kinolandschaft mit etlichen Riesenkinos, die allmählich in die Jahre gekommen sind. Bei Kinopolis ist es fast ein Jahrzehnt her, dass das bislang letzte in Gießen aufgemacht hat. Aber das Darmstädter Familienunternehmen, das seit 1905 und inzwischen in vierter Generation Kinos betreibt, gibt sich bei der Eröffnung am späten Dienstagnachmittag zuversichtlich: Das werde laufen.
Das Kino am Bad Homburger Bahnhof bietet fast 1000 Plätze in sieben Sälen. Das Bild kommt über Laser, der 360-Grad-Ton von überall her. Manche Stühle bewegen sich passend zur Handlung, es gibt Mozzarella und Mini-Burger. Und Unmengen Popcorn. Danach riecht es schon direkt hinter dem Eingang.
Der öffnet sich, indem drei Männer mit drei goldenen Scheren gleichzeitig ein Band durchschneiden. Davor sagt jeder ein paar Sätze. Dennis Bartsch, Geschäftsführer des Hamburger Bauträgers Procom, freut sich über den „krönenden Abschluss“ des neuen Einkaufs- und Unterhaltungszentrums. Beim Spatenstich 2021 hätten sich wegen Corona viele gefragt, was den Kinos wohl blühte. Gregory Theile, Geschäftsführer von Kinopolis, sieht sich angesichts der vergangenen Monate bestätigt, dennoch an den Bauplänen festgehalten zu haben: „Wir haben Rekordzahlen geschrieben mit manchen Filmen.“ Oberbürgermeister Alexander Hetjes von der CDU erzählt, er habe 1997 mit der Jungen Union im Kommunalwahlkampf gefordert: „Kino, Disco und Fast Food am Bahnhof.“ Es habe gedauert, aber nun stehe in der Kurstadt Deutschlands modernstes Kino – „zur Zeit“.
Die Hochzeit der Großkinos scheint längst vergangen
Wie lange es das zumindest neueste Multiplex-Haus bleibt, werden die Nachrichten der nächsten Monate zeigen. Ein Blick ins Archiv offenbart jedenfalls, dass sich die Zahl der Großkinos in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht wesentlich verändert hat. Die meisten sind offenbar tatsächlich vor mehr als 20 Jahren gebaut worden. Im Jahr 2003 schreibt ein damaliger Kollege im Rhein-Main-Teil der F.A.Z. rückblickend: „In den neunziger Jahren schossen die Multiplexe wie Pilze aus dem Boden. Kaum ein größeres freiwerdendes Gelände im Ballungsraum, das nicht als Großkino-Standort im Gespräch war.“ Gewissermaßen als Nachfolger für die schon damals nicht mehr zeitgemäßen Musical-Theater.
Auf das Großkino in Sulzbach folgen 1997 etwa ein weiteres Kinopolis in Aschaffenburg, 1999 das Cinestar in Mainz und das Cinemaxx in Offenbach, 2000 ein Kinopolis in Darmstadt. Und es wird viel darüber diskutiert, ob die Großen die Kleinen kaputtmachen. In Frankfurt entsteht als erstes Multiplex-Kino das Metropolis an der Eschenheimer Anlage. Nach der Jahrtausendwende wird es dann ruhiger in der Großkino-Landschaft der Region. Vor der Neueröffnung in Gießen 2013 macht Kinopolis 2011 noch eins in Hanau auf.
Aber mit Bad Homburg soll nicht Schluss sein: 2024 plant das Unternehmen die nächste Neueröffnung – in Hamburg. Bis dahin wird das am ersten Abend noch kaum berührte Kino in der Taunus-Kurstadt erste Gebrauchsspuren aufweisen. Es wird sich zeigen, welche Angebote die Gäste des vom Unternehmen als „Premiumkino“ vorgestellten Hauses eher annehmen als andere. „Wir wollen uns absetzen“, sagt Geschäftsführer Theile. Mit der Popcornküche als Blickfang, Ladekabeln und Tischen an allen Plätzen, überhaupt: „mit Aufenthaltsqualität“. Die sei heute wichtig, um Menschen zu überzeugen, einen Film nicht zu Hause zu schauen. Der größte der sieben Säle hat fast 280 Sitze, zwei weitere bieten etwa 150 Personen Platz, in den vier kleinsten stehen jeweils fast 100 Sessel.
Kinobesuch „mit Aufenthaltsqualität“
Aber Sitz ist nicht gleich Sitz – und im Fall der vordersten Reihen sogar gleich Liege. Die kostet so viel wie ein normaler Sitz, je nach Vorstellung zum Beispiel zwölf Euro. Teurer sind die „Partner-Kuschelsofas“ in Rot und die Plätze mit elektrisch ausfahrbaren Fußteilen hinten. An denen gibt es auch einen QR-Code für die Speisekarte, und Rotwein und Käseauswahl werden an den Platz gebracht. Getränke gibt es übrigens nur in Mehrweg-Behältern. Am meisten, nämlich um 20 Euro, kostet ein Platz, der sich passend zur Handlung bewegt. Beim aktuellen Film „Gran Turismo“ ruckelt er im Takt der Rennfahrzeuge, der Betrachter geht mit in die Kurven. Auch das Licht im Saal vor der Vorführung passt sich dem Film an – je nachdem, ob gleich „Oppenheimer“ oder „Barbie“ läuft.
Außer diesen beiden Filmen sind am Dienstag, dem ersten Tag, neun weitere im Angebot. Schon am früheren Nachmittag kommen einige Familien vorbei, müssen aber bis zum Einlass um 16 Uhr warten. Am Donnerstag können Besucher dann aus 16 Filmen wählen. Wer das neue Kino erst am Wochenende ausprobiert, kommt günstiger herein: Am Samstag und Sonntag kostet der Eintritt für alle Filme auf allen Plätzen fünf Euro. Damit beteiligt sich das Lichtspielhaus am „Kinofest“ in ganz Deutschland. Wie viel es künftig zu feiern gibt, müssen die Besucher entscheiden. Im Jahr 2022 gab es laut der Filmförderungsanstalt 1730 Kinospielstätten in Deutschland. Zwanzig Jahre zuvor waren es zwar noch 1844 Kinos. Aber im Vergleich zum Vorjahr 2021 ist die Zahl der Kinos im Land immerhin wieder leicht gestiegen.