Am Dienstag hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Washington besucht. Dabei wurde deutlich, wie schwierig es für sein Land künftig werden könnte, weitere amerikanische Hilfen zu erhalten. In Nordeuropa ist die Lage eine andere. Hier ist ihm die Unterstützung weiterhin gewiss. Das wurde am Mittwoch deutlich, als Selenskyj in Oslo eintraf, wo er von dem norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre empfangen wurde und an einem Treffen der Regierungschefs der nordischen Staaten zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik teilnahm.
Anwesend waren neben Støre Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson, Finnlands Präsident Sauli Niinistö, Dänemarks Staatsministerin Mette Frederiksen sowie Islands Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir – allesamt vehemente Unterstützer der Ukraine, deren Länder ihr zum Teil in beträchtlichem Umfang finanziell und militärisch helfen. Weiterhin besuchte Selenskyj das Storting und traf König Harald. Es war das erste Mal, dass der ukrainische Präsident Norwegen besuchte.
Die nordischen Länder bestätigten ihre „unerschütterliche Unterstützung“ für die Ukraine, sagte Støre. „Wir vertreten Länder, in denen es breite Unterstützung für die Ukraine und den Freiheitskampf des ukrainischen Volkes gibt“. Selenskyj wiederum sagte, es mache ihn glücklich, so starke Partner hinter sich zu haben. „Ohne Hilfe kann man nicht gewinnen.“
Norwegen gibt 1,7 Prozent des BIP
Bei einer Pressekonferenz mit Støre sagte Selenskyj, die norwegische Unterstützung für die Ukraine sei stark, er wolle dem Land persönlich dafür danken. „Norwegen steht für Freiheit.“ Støre versprach, Norwegen werde weiter hinter dem ukrainischen Volk stehen und das Land nachhaltig im Kampf für Freiheit und Demokratie unterstützen.
Norwegen hat der Ukraine in den kommenden vier Jahren 75 Milliarden Kronen (rund 6,3 Milliarden Euro) versprochen. Laut Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel ist Norwegen damit das Land, dass im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) die meiste Hilfe zugesagt hat – insgesamt beträgt sie rund 1,7 Prozent des BIP. Allerdings dürfte wohl auch kaum ein Land so stark wirtschaftlich von den Folgen des Ukrainekriegs profitiert haben wie Norwegen, schließlich sind in der Folge des Krieges die Nachfrage nach Norwegens Rohstoffen wie die Rohstoffpreise stark gestiegen.
Norwegen ist in der Folge von Russlands Angriffskrieg zum mit Abstand wichtigsten Exporteur von Gas in EU-Länder aufgestiegen. Der norwegischen Außenhandelskammer zufolge importierte allein die Bundesrepublik 2022 Gas im Wert von rund 58 Milliarden Euro aus Norwegen.
Hilfe aus Europa wird wichtiger
Insgesamt erzielte das Land 2022 einen Rekord beim Außenhandelsüberschuss. Allein das sich überwiegend in staatlicher Hand befindliche Energieunternehmen Equinor erzielte 2022 einen Rekordgewinn in Höhe von knapp 70 Milliarden Euro. Führende Politiker in Norwegen haben sich wiederholt gegen die Darstellung gewehrt, ihr Land sei ein Profiteur des Krieges – und dabei stets auch auf die Unterstützung der Ukraine verwiesen.
Selenskyjs Besuch wird in Norwegen vor dem Hintergrund einer möglicherweise schwindenden Unterstützung Amerikas für die Ukraine gedeutet. Sollte Amerikas Hilfe versiegen, wäre es für die Ukraine umso wichtiger, Hilfe aus Europa zu erhalten, hieß es in Oslo. Der Zeitpunkt des Besuchs zu einem so kritischen Zeitpunkt für die Ukraine spiegle die Bedeutung Norwegens für das Land.
Die Verletzung von Grenzen in Europa durch Russland wird in Norwegen, das ebenso wie Finnland mit Russland eine Grenze teilt, als Bedrohung auch der eigenen Nation aufgefasst – auch wenn Norwegen in seiner Geschichte anders als Finnland nie im Krieg mit dem Nachbarn stand.