Wer Nora Szech vor einigen Jahren in ihrem Karlsruher Büro besuchte, der traf eine Frau mit beeindruckender Vita und vielen Talenten. Über ihre Auftritte als Gitarristin in einer Indie-Pop-Band sprach sie mit derselben Begeisterung wie über ihre ökonomischen Studien. Während die Musik nur ein Hobby war, hatten ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen die junge Forscherin gerade in die erste Liga der deutschen Ökonomen katapultiert. Szechs These: „Der Markt kann die Moral untergraben.“
Die Verhaltensökonomin untermauerte ihren Angriff auf das Heiligtum vieler etablierter Ökonomen mit einem spektakulären Experiment. Sie stellte Probanden vor die Wahl, ob sie dem Tode geweihten Labormäusen das Leben retten wollen oder lieber ein paar Euro kassieren und die Mäuse dem Tod durch Vergasung überlassen. Viele Versuchsteilnehmer entschieden sich für das Geld und opferten die Mäuse.
Auch Variationen dieser einfachen Versuchsanordnung bestärkten Szech in der Ansicht, dass der Mensch seine Werte schnell vergisst, sobald es um Geld und Verhandlungssituationen auf Märkten geht. Szech erntete Kritik, aber noch mehr Applaus für ihre Forschungsarbeit, die sie gemeinsam mit ihrem Ko-Autor im Forschungsmagazin „Science“ veröffentlichte.
Szech hatte nichts gegen Märkte
Szech, die mit Anfang 30 zur Professorin in Bamberg berufen worden war und kurz darauf an das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wechselte, wollte nicht missionieren. Sie hatte auch nichts gegen Märkte. Im Gegenteil: Mit ihren theoretischen und experimentellen Arbeiten war es ihr ein Anliegen, Märkte so zu gestalten, dass sie besser funktionieren und weniger schädliche Nebenwirkungen verursachen. Und sie wollte aufzeigen, wie anfällig Menschen dafür sind, ihr Gewissen reinzuwaschen. In einem ihrer Versuche wies sie nach: Kunden von Bioprodukten geben weniger Geld dafür aus, dass die Produkte auch fair und ohne Kinderarbeit produziert werden als die Kunden konventioneller Produkte – die Biokunden hatten ja schon Gutes geleistet.
Szech trug ihre Erkenntnisse in die Öffentlichkeit. Während der Pandemie warb sie dafür, Menschen hohe Prämien zu zahlen, wenn sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Das Geld sei gesamtgesellschaftlich gut angelegt, befand sie im Spätsommer 2021 in der F.A.Z.
Mit nur 43 Jahren ist die vielfach ausgezeichnete Ökonomin Mitte August verstorben, wie nun bekannt geworden ist. Unter Ökonomen sorgte die Meldung am Wochenende für Betroffenheit. In den sozialen Netzwerken brachten unter anderem EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel und Ifo-Präsident Clemens Fuest Trauer und Entsetzen zum Ausdruck. Der Verhaltensökonom Ernst Fehr sagte der F.A.Z.: „Nora Szech war eine außergewöhnliche Wissenschaftlerin, deren Arbeiten die Verhaltensökonomie bereichert haben.“ Ihre Forschung habe das Verständnis für menschliches Verhalten vertieft und sei für die praktische Anwendung in Politik und Wirtschaft relevant.