Etwa eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl sieht Kanzler Olaf Scholz den größten Teil des Ampel-Koalitionsvertrags von 2021 bereits als umgesetzt an. „Wenn man den Koalitionsvertrag und was wir aufgeschrieben haben nimmt, würden wir sicherlich eher bei 80, 90 Prozent liegen“, sagte der SPD-Politiker am Montag bei einer Veranstaltung der Verlagsgruppe VRM in Mainz. „100 werden wir wohl nicht erreichen“, fügte er hinzu. „Aber dass wir bei 90 Prozent landen trotz eines ziemlich ehrgeizigen Programms für eine gute Zukunft für Deutschland, das halte ich für möglich.“
Die von SPD, Grünen und FDP gebildete Ampel-Regierung war am 8. Dezember 2021 mit einem 141-seitigen Koalitionsvertrag unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ in ihre vierjährige Amtszeit gestartet. Zur Halbzeit hatte die Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Sommer eine Studie zur Umsetzung vorgelegt. Die Autoren sahen von den 453 Versprechen aus dem Koalitionsvertrag schon damals knapp zwei Drittel (64 Prozent) entweder als umgesetzt (38 Prozent) oder auf den Weg gebracht (26 Prozent) an. Im Vergleich zur Vorgängerregierung habe die Ampel damit anteilig zwar etwas weniger geschafft, die absolute Zahl der bereits angegangenen Regierungsvorhaben liege aber höher.
Scholz gegen Kürzungen bei der Rente
Außerdem sieht Bundeskanzler Olaf Scholz derzeit keine Möglichkeit, neue Sondervermögen neben dem regulären Haushalt einzurichten. Sondervermögen würden derzeit von einigen als Ausweg gepriesen, sagte Scholz mit Blick auf die Haushaltsdebatte. „Ich sehe im Augenblick keine Zweidrittelmehrheit für irgendwelche Sondervermögen“, fügte er mit Hinweis auf die Sonderkreditlinie über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hinzu, für die zusammen mit der oppositionellen Union das Grundgesetz geändert wurde. Er höre immer interessiert bei Vorschlägen zu, sehe aber nicht, dass die Oppositionsparteien dies mit beschließen wollten.
Zugleich betonte der Kanzler, dass er es ablehne, für die nötige dauerhafte Erhöhung des Bundeswehretats auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung bei den Sozialausgaben zu kürzen. „Ich kann Ihnen die Angst nehmen, dass der Kanzler solche Pläne hat“, sagte der SPD-Politiker auf eine entsprechende Frage. Es sei zwar ein „Kraftakt“, die zwei Prozent zu erreichen, sagte Scholz in Anspielung auf die Finanzierungsprobleme nach Auslaufen des Sondervermögens. „Aber aus meiner Sicht wäre es falsch, das durch Kürzungen zum Beispiel bei der Rente oder anderswo zu finanzieren. Ich wäre dagegen.“
Zur Kritik aus Wirtschaftsverbänden und Opposition am geplanten Mindestrentenniveau von 48 Prozent eines Durchschnittseinkommens sagte Scholz, derzeit wollten wieder einige bei den Renten kürzen. „Da steht der Bundeskanzler dagegen. Und wenn er dafür beschimpft wird – gerne.“
AfD-Aussagen „sehr ähnlich“ zu Putin
Zu den aktuellen Berichten über eine russische Desinformationskampagne und mögliche verdeckte Zahlungen aus Russland an einen AfD-Politiker hat sich Olaf Scholz beunruhigt geäußert. Wenn man zuhöre, was AfD-Vertreter im Bundestag und anderswo zu Fragen der europäischen Sicherheitsordnung sagten, klinge das doch „sehr ähnlich“ wie die Position des russischen Präsidenten Wladimir Putin, so Scholz. „Nun hören wir auch noch, dass einige Vorwürfe bekommen, dass sie vielleicht auch noch finanziell davon abhängen.“
Er könne nicht beurteilen, ob das stimmt oder nicht, sagte der Bundeskanzler weiter. „Aber es ist schon etwas, dass man nicht auf die leichte Schulter nehmen darf.“ Scholz bezog sich dabei indirekt auf die Vorwürfe gegen den AfD-Europawahlkandidaten Petr Bystron. Die tschechische Zeitung „Denik N“ hatte berichtet, der Bundestagsabgeordnete stehe im Verdacht, mit der prorussischen Internetplattform „Voice of Europe“ (VoE) in Kontakt gestanden zu haben, die das Prager Kabinett jüngst auf die nationale Sanktionsliste gesetzt hatte. Möglicherweise habe er auch Geld entgegengenommen.
Bystron betont hingegen, er habe sich nichts vorzuwerfen. Die AfD-Spitze hält bis auf Weiteres zu ihrem Europawahlkandidaten: „Zum jetzigen Zeitpunkt muss der Bundesvorstand von der Unschuld Herrn Bystrons ausgehen“, hieß es am Montag nach Beratungen des AfD-Bundesvorstands in einer gemeinsamen Stellungnahme der Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla.