Als Robert Habeck am Donnerstagabend zusammen mit dem Rektor den Hörsaal 1 der Universität Magdeburg betritt, unkt der Hochschulleiter: „Das hier kann ein Wohlfühltermin werden, muss es aber nicht.“ Gut anderthalb Stunden später ist klar: Die Gesprächsrunde mit Studenten war für den grünen Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler wahrscheinlich einer der angenehmsten Termine seiner diesjährigen Sommerreise. Die allermeisten Fragesteller wollen nicht weniger, sondern mehr grüne Politik.
Wie er es in dieser „toxischen Lebensbeziehung“ mit der FDP aushalte, will ein Student von Habeck wissen. Eine Kommilitonin fragt: „Können Sie sich vorstellen, dass wir irgendwann in einer Gesellschaft leben, in der wir einfach generell weniger arbeiten müssen?“ Und natürlich kommt auch die Frage: „Wo sind die Erfolge im Klimaschutz?“
Habeck fühlt sich sichtlich wohl im Hörsaal. Seine Antworten entfernen sich schnell von den Fragen, werden zu Minivorlesungen über Demokratie und Freiheit. Es sei nicht klar, wie viel „Resonanzboden“ es für Veränderungen noch gebe, sagt er. Und wie „alarmiert“ er sei, „dass eine gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz wegbricht“.
Landverschickungsprogramm für Minister
Sommerreisen sind eine Art Landverschickungsprogramm für Minister, mit dem Unterschied, dass diese sich nicht erholen, sondern auf Tuchfühlung mit dem Land gehen sollen. Habecks Programm ist gespickt mit Betriebsbesuchen und Bürgerdialogen, wobei Letzteres wegen der vielen Drohungen gegen Habeck nur noch mit Einschränkungen möglich ist.
Der Termin an der Magdeburger Uni wird von einem Großaufgebot der Polizei abgesichert. Doch ähnlich wie im Westen gilt auch im Osten Deutschlands: Unter Städtern sind die Grünen nicht so verpönt wie auf dem Land, unter Studenten erst recht nicht. Der Abend endet so freundlich, wie er angefangen hat.
Aus der Wirtschaft bekommt der designierte Kanzlerkandidat der Grünen während seiner Reise mehr Kritik zu hören – und dies, obwohl er vor allem Betriebe besucht, die hinter seiner Politik stehen, ihr Geschäftsmodell darauf bauen. Zum Beispiel das Start-up Solar Materials in Magdeburg, das aus alten Solarpaneelen Rohstoffe recycelt, damit die Industrie diese erneut verwenden kann.
Unternehmer erklären, was alles nicht läuft
Habeck bestaunt den riesigen Stapel ausrangierter Solarmodule in der Werkshalle und den Roboter, der gerade das Silber von einer Folie schabt. Die Szenerie wirkt, als ob der Laden läuft, aber vorher haben die Gründer dem Minister erklärt, was alles nicht läuft.
Dass sie Lkw-weise Solarmodule geliefert bekommen, aber eine Lagerhalle nicht nutzen dürfen, weil erst mal Gutachten zum Brandschutz vorgelegt werden müssen. Dass sie im Rahmen der „Deklarationsanalyse“ Datenblätter zu jedem verarbeiteten Modul vorlegen sollen, obwohl es 130.000 verschiedene davon gibt und die Hersteller teils gar nicht mehr existieren. Habeck schaut betreten. „Behörden wollen keine Fehler machen“, konstatiert er. In der Vergangenheit hat Habeck den Stellenaufbau im öffentlichen Dienst ausdrücklich verteidigt, ihn als Voraussetzung für die Transformation bezeichnet. Die Botschaft der Gründer ist eine andere: Weniger Staat wäre besser.
Beim Glashersteller Ardagh im niedersächsischen Obernkirchen war es ähnlich. Das Unternehmen macht das, was Habeck will: Es stellt seine Produktion von Gas auf Ökostrom um. Geschäftsführer Jens Schaefer bezeichnet die neu entwickelte Schmelzwanne als „Baby“, das langsam laufen lerne. Er bedankt sich für die Fördermittel des Ministeriums, die zwar nicht alle, aber einen Teil der Investitionskosten abgedeckt hätten. Schaefer macht aber auch deutlich, dass noch nicht sicher ist, ob dieses Pilotprojekt ausgeweitet wird. „Der Wille ist da, die Fähigkeit ist da. Aber um diesen Weg weiter gehen zu können, brauchen wir Rahmenbedingungen, die wir nicht schaffen können.“
Verweis auf die Netzentgelt-Entlastung
An erster Stelle stehen für den Unternehmer „marktfähige Strompreise“ und günstiger Wasserstoff. Von dem Rat von Ökonomen, die Unternehmen sollten ihre Produktion flexibler gestalten, verstärkt in Zeiten mit viel günstigem Ökostrom produzieren, hält der Unternehmer wenig. „Wir können diese Prozesse nicht mit Sonne und Wind hoch- und runterfahren“, erklärt er. „Dieser Schmelzprozess braucht eine konstante Temperatur.“ Ardagh stehe in Konkurrenz zu Anbietern aus dem Ausland, die „nicht dekarbonisiertes Glas“ zu deutlich günstigeren Preisen nach Deutschland lieferten.
Habeck verweist darauf, dass die Bundesregierung bei den Netzentgelten Entlastungen plant. Die Preisdifferenz zwischen fossilen und erneuerbaren Energien werde sich schließen. Zum Schluss lobt er das Unternehmen noch in den höchsten Tönen: Es sei „das lebendige Beispiel, dass Klimaschutz und Wirtschaft zusammengehören“.
Noch mehr Kritik kommt in den Gesprächsrunden, die von den örtlichen Industrie- und Handelskammern für Habecks Sommerreise organisiert wurden. In diesen Runden, aus denen nicht zitiert werden darf, äußern viele Unternehmer Frust. Darüber, wie die Politik sie zum Klimaschutz drängt, sie nun aber wegen der geringen Nachfrage nach Elektroautos Kurzarbeit machen müssen. Darüber, dass die Konkurrenz aus China nicht im Traum daran denkt, nach den Standards der Europäer zu produzieren. Wenn Deutschland wirklich bis 2045 klimaneutral werden müsse, dann sei die Industrie weg: Auch diese Warnung hört Habeck während seiner Reise. Mehr Selbstzweifel und weniger Selbstbewusstsein wünschen sich die Unternehmer von ihrem Wirtschaftsminister.
Habeck, der in diesen Gesprächsrunden mit ernster Miene vorne am Podium steht, fühlt sich durch diese Kritik herausfordert. Er spüre auf seiner Sommerreise eine „große Aufbruchstimmung“, sagt er nach dem IHK-Termin in Bochum beinahe trotzig. Die Frage nach dem Veränderungswillen im Land ist für Habeck zentral. Er wird der nächste Kanzlerkandidat der Grünen sein, und er will die Wähler überzeugen, indem er sich als das dynamische, zukunftsorientierte Gegenmodell zu Olaf Scholz und Friedrich Merz positioniert. Doch um den Einzug ins Kanzleramt zu erreichen – was bei den Grünen durchaus für möglich gehalten wird –, braucht Habeck nicht nur eine Partei, die darauf verzichtet, Klimaschutz mit der Brechstange durchzusetzen. Er braucht auch eine Mehrheit in der Gesellschaft, die diesen Weg mitgehen will. Auf seiner Sommerreise hat er einen Eindruck bekommen, wie viel Überzeugungsarbeit er dafür noch leisten muss.