Einmal wird der Name von Sahra Wagenknecht dann doch von der Bühne gerufen, gebrüllt sogar. Ausgerechnet, als der Ko-Parteivorsitzende Martin Schirdewan sich zum Spitzenkandidaten für die Europawahl wählen lassen will. Es ist Samstagabend, viele mutmachende Reden liegen hinter den Delegierten. Neuanfang, Kapitel schließen, Neues anfangen, in die Zukunft schauen, gemeinsam – das sind die Stichworte des Wochenendes.
Dann meldet sich überraschend ein Gegenkandidat, geht auf die Bühne, beschimpft die Parteiführung und preist Sahra Wagenknecht. Es ist Bijan Tavassoli, der in den vergangenen Jahren immer wieder mit provokanten Aktionen und kruden Äußerungen aufgefallen ist. Als er auf der Bühne dann seinen Parteiaustritt erklärt, gibt es erleichterten Jubel in den Reihen. Neun Stimmen bekommt er bei der Wahl danach trotzdem noch.
Der Parteitag der Linken in Augsburg ist der erste, seit Wagenknecht mit mehreren Anhängern die Partei verlassen hat – nach Monaten des Streits und der Spekulationen über die Gründung ihrer eigenen Partei. Am Dienstag hat dann auch noch die Linksfraktion im Bundestag ihr Ende beschlossen. In der Partei ist von Erleichterung die Rede, von Klarheit, die man jetzt habe, nach vorne soll es gehen.
Jede Menge Brecht-Zitate
Auf der Agenda des Parteitags steht eigentlich das Programm für die Europawahl und die Kandidatenlisten, es wird aber vor allem ein Parteitag der Selbstvergewisserung. Ein Parteitag, bei dem der Name Wagenknecht sonst von der Führung der Linken auf der Bühne nicht genannt wird – und bei dem sich trotzdem zeigt, dass allein durch ihren Abgang die Konflikte noch nicht verschwunden sind.
Dabei hatte die Parteispitze um die Vorsitzenden Schirdewan und Janine Wissler viel dafür getan, den Neustart mit ordentlich Schwung anzugehen. Pünktlich zum Parteitag wird ein neues Parteilogo vorgelegt, rot-weiß, der Keil zeigt nun als I-Punkt nach rechts oben, aufwärts.
Am Samstag wird eine Kampagne zur Erneuerung der Partei vorgestellt mit neuen Mitgliedern. Nach Wagenknechts Abgang sind mehr als 700 Menschen in die Partei eingetreten. Austritte gab es auch, aber deutlich weniger.
Dass der Ort für den Parteitag nicht irgendeiner ist, sondern die Geburtsstadt der linken Ikone Bertolt Brecht, dürfte nach den ersten Reden am Freitag auch dem letzten Kulturbanausen klar sein. Ein Redner nach dem anderen versucht es mit einem Zitat, so auch Schirdewan mit Blick auf die Abtrünnigen rund um Wagenknecht: „Wenn ein Freund weggeht, muss man die Tür schließen, sonst wird es kalt“, zitiert Schirdewan. Freilich ohne Wagenknecht zu erwähnen.
Selbst das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts kommt der Parteispitze gerade recht. Ein weiterer Anlass, auf die Ampelkoalition in Berlin loszugehen. Schirdewan nennt sie „die reinste Trümmertruppe“. Der Vorstand bringt einen Dringlichkeitsantrag ein, der eine Abschaffung der Schuldenbremse fordert. Er wird einstimmig angenommen.