Nur Bruchteile von Sekunden vergehen, wenn Lewis Hamilton mit seinem silbernen Mercedes über die Ziellinie schießt. Wer diesen Augenblick mit seiner Kamera festhalten will, muss eine möglichst kurze Belichtungszeit wählen, sonst ist später auf dem Foto nicht viel mehr als ein verschmierter Strich zu sehen. Mit ähnlichen Schwierigkeiten hatten Chemiker und Physiker lange Zeit zu kämpfen, wollten sie atomare und molekulare Vorgänge beobachten, die sich auf der Zeitskala von einigen Billiardstelsekunden (Femtosekunden) abspielen.
Dass Forscher heute nicht nur beobachten können, wie sich die Atome in den Molekülen bewegen und chemische Bindungen zwischen den Atomen entstehen oder aufbrechen, sondern auch die extrem schnellen Vorgänge in den Elektronenhüllen der Atome verfolgen können, ist den bahnbrechenden Arbeiten von Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier zu verdanken. Die drei Forscher erhalten „für die Entwicklung experimenteller Verfahren zur Erzeugung von Attosekunden-Lichtimpulsen zur Untersuchung der Elektronendynamik in der Materie“ den diesjährigen Nobelpreis für Physik.
Eine Attosekunde – der milliardstel Teil einer Milliardstelsekunde – ist eine unvorstellbar kurze Zeit. Einige Hundert Attosekunden benötigen typischerweise Elektronen, wenn sie einmal um einen Atomkern kreisen. In dieser Zeit gelangt das sichtbare Licht noch nicht einmal 0,1 Mikrometer weit, während es in einer Sekunde eine Strecke zurücklegt, die etwa siebeneinhalbmal um die Erde reicht. Will man solche Vorgänge als Momentaufnahme „einfrieren“, benötigt man extrem kurze Lichtpulse.
Mit handelsüblichen optischen Lasersystemen lassen sich prinzipiell keine Lichtblitze erzeugen, die kürzer als eine Femtosekunde sind. Denn die Pulsdauer müsste dann kürzer sein als die Zeit, die das sichtbare Licht für eine Schwingung benötigt. Da ein Puls aber mindestens eine Schwingung enthalten muss, sind besondere Techniken notwendig, um Lichtblitze von Attosekunden-Dauer zu erzeugen.
Im Jahr 1987 gelang der französischen Physikerin Anne L’Huillier am Forschungszentrum in Saclay ein Durchbruch. Als sie einen intensiven infraroten Lichtpuls durch ein Edelgas schickte, entstanden Lichtstrahlen von kurzer Dauer, die um Vielfache schneller oszillierten und damit höhere Energien aufwiesen als der Ausgangspuls. Jede entstandene Lichtwelle war zudem etwas kürzer als der ursprüngliche Strahl. Allerdings waren L’Huillier und ihre Kollegen noch weit entfernt von Attosekunden-Lichtpulsen. Die Französin hatte aber zumindest den Weg dorthin aufgezeigt.
Es sollte noch bis zum Jahr 2001 dauern, dass die ersten Attosekunden-Pulse von Anne L’Hullier, dem Franzosen Pierre Agostini und dem gebürtigen Ungar Ferenc Krausz erzeugt werden konnten. Denn zuvor musste ein Problem geklärt werden: Wie weist man so kurze Lichtpulse überhaupt nach? Die gängige Elektronik eines Detektors ist dafür viel zu langsam. Allerdings entstehen beim dem Prozess schnelle Elektronen, die aus den Edelgasatomen herausgeschleudert werden. Wird man ihrer habhaft, liefern ihre Eigenschaften Informationen über die kurzen Lichtpulse.
Nach dem die Nachweistechnik ausgereift war, gelang es fast zeitgleich der Gruppe um Anne L’Huillier an der Lund Universität in Schweden, Pierre Agostini und seinen Kollegen in Saclay sowie Ferenc Kraus und seiner Arbeitsgruppe in Wien immer kürzere Strahlungspulse zu generieren. Krausz, der seit 2003 Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München ist, hält den Rekord. Ihm ist gelungen, Röntgenblitzen von nur 80 Attosekunden Dauer zu erzeugen.
Dank der Arbeiten der drei Laureaten haben Physiker und Chemiker ein Werkzeug in der Hand, mit dem sie elementare Prozesse in Atomen, Molekülen und seit kurzem auch in Festkörpern unter die Attosekunden-Lupe nehmen können. „Wir können nun die Tür zur Welt der Elektronen öffnen. Die Attosekundenphysik gibt uns die Möglichkeit, Mechanismen zu verstehen, die von Elektronen gesteuert werden. Der nächste Schritt wird sein, sie zu nutzen“, sagte Eva Olsson, Vorsitzende des Nobelkomitees für Physik in Stockholm.