Wo viele Bücher stehen, fallen die Lücken der aus dem Angebot verschwundenen kaum auf: Blick in eine Buchhandlung im Zentrum von St.Petersburg
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Der Literaturkanon wird gesäubert: Um Denunziationen zuvorkommen, erstellen russische Verleger selbst eine Liste mit etwa 300 Werken, in denen homosexuelle Themen zu finden sind. Ein Gastbeitrag.
„Der Westen verbietet russische Kultur und mustert Werke unserer großen Künstler aus, während Russland gastfreundlich jede Kunst mit offenen Armen aufnimmt, selbst wenn sie aus einem unfreundlichen Land stammt.“ So lautet die Lieblingsthese der russischen Propaganda. Neulich fand in Moskau sogar eine davon inspirierte Aktion statt. An den belebtesten Plätzen wurden Plakate aufgehängt mit Losungen wie „Tschaikowsky-Konzerte werden weltweit abgesagt, aber unsere Liebe zur Musik Chopins bleibt bestehen“ oder „Im Westen werden keine Vorlesungen über Dostojewski mehr gehalten, aber wir begeistern uns weiter an den Helden von Mark Twain“.
Interessant ist hier nicht so sehr die unverblümte Verlogenheit dieser Botschaften – wir wissen alle, dass im Westen Tschaikowsky gespielt und Dostojewski von Studenten gelesen wird –, als vielmehr eine psychoanalytische Stoßrichtung. Wenn Putins Propaganda den Westen an den Pranger stellt, enthüllt sie oftmals russische Traumata.