Russlands Hauptstadt bereitet sich auf ein großes Konzert vor, hinter Gittern, die den Roten Platz im Herzen von Moskau absperren. Dahinter sieht man schon am Samstagmittag, dass eine Bühne auf dem Platz aufgebaut wird. Offiziell soll hier aber nicht Wladimir Putins Bestätigung im Präsidentenamt gefeiert werden, die schon am Sonntagabend bevorsteht, sondern erst am Montag die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim sowie der dort gelegenen Hafenstadt Sewastopol. Denn dann wird der Anschluss auf den Tag genau zehn Jahre her sein.
„Russland. Krim. Sewastopol“, steht entsprechend über der Bühne vor den Stufen, auf denen hier zu Paraden stets Putins Gäste sitzen. Ob der dann frisch und auf weitere sechs bestätigte Herrscher auch kommen wird, ist noch nicht bekannt; aber vor sechs Jahren hatte Putin seine Akklamation gleich am damals vierten Jahrestag mit einem Konzert unter dem ganz ähnlichen Motto „Russland. Sewastopol. Krim“ auf dem unmittelbar benachbarten Manege-Platz gefeiert.
Nun wird im Internet schon Publikum für das Konzert gesucht, bei dem putintreue Musiker auftreten sollen. So die Rockgruppe Ljube und der Sänger Shaman, der mit hellblondem Kurzhaarschnitt und schwarzer Lederkluft die wichtigsten Erbauungshits zu Putins Krieg respektive „Spezialoperation“ veröffentlicht hat und regelmäßig Zigtausende Russen aller Altersstufen in seinen Konzerten begeistert: In „Erheben wir uns“ dankt Shaman gefallenen Soldaten dafür, „dass sie uns den Sieg gegeben haben“, und sieht ganz wie Putin „die Wahrheit“ sowie Gott auf „unserer“ Seite; in „Ich bin Russe“ singt Shaman, jemanden wie ihn könne man nicht brechen, weil er „zum Glück“ und „der ganzen Welt zum Trotz“ Russe sei, der „bis zum Ende“ gehe.
Fünf Frauen mit roten Nelken
Jetzt ist nicht nur der Rote Platz schon abgesperrt, sondern auch der nahegelegene Alexandergarten. Dort patrouillieren Polizisten. Für den Aufbau der Bühne wäre das nicht nötig. Es wirkt ganz so, als solle die Sperrung verhindern, dass Frauen und Mütter von Soldaten, die in Putins „Teilmobilmachung“ eingezogen worden sind, am Samstagmittag um zwölf Uhr Blumen am Grab des Unbekannten Soldaten an der Kremlmauer niederlegen, wo ein Ewiges Feuer brennt. Ihre Bewegung „Weg nach Hause“, die die Rückkehr der Männer fordert, hatte auch für diesen Samstag dazu aufgerufen.
Am Samstagmittag stehen trotz der Sperrung fünf Frauen mit roten Nelken in den Händen und ihren Erkennungszeichen, hellen Kopftüchern, vor den großen verschlossenen Toren zum Alexandergarten. Etwas ratlos sehen sie aus und werden nicht nur von den Polizisten betrachtet, sondern auch von mindestens zwei Männern in Zivil gefilmt. Diese verfolgen die Frauen auch noch, als die sich schließlich auf den Weg zur Metro machen und in der Station „Platz der Revolution“ verschwinden.
Aktion der Opposition am Sonntagmittag geplant
Bei früheren Blumenniederlegungen gab es Festnahmen unter anderem von Journalisten, am Samstag nicht. Allerdings hat eine Moskauer Staatsanwaltschaft die mittlerweile prominenteste Aktivistin der Bewegung, Marija Andrejewa, schriftlich davor gewarnt, am Sonntagmittag an „unerlaubten öffentlichen Veranstaltungen“ teilzunehmen, die „Anzeichen extremistischer Tätigkeit“ trügen.
Gemeint ist der auch von Andrejewa unterstützte Aufruf der Opposition, am Sonntag, dem letzten Tag der dreitägigen Scheinwahl, um zwölf Uhr zum jeweiligen Wahllokal zu gehen und so zu zeigen, dass man nicht mit Putins Herrschaftsverlängerung einverstanden ist. Dazu ruft anderen voran Julija Nawalnaja auf, die Witwe des vor einem Monat plötzlich im Straflager „Polarwolf“ gut 1900 Kilometer nordöstlich von Moskau gestorbenen Putin-Widersachers Alexej Nawalnyj.
Die Machthaber haben allen, die bei der Aktion am Sonntagmittag mitmachen wollen, Strafverfolgung angedroht. Das exilrussische Newsportal „Medusa“ berichtete am Sonntag zudem, Bewohner der Hauptstadt hätten über Messengerdienste Nachrichten erhalten, die ihnen vorwürfen, „extremistische Ideen“ zu unterstützen und sie aufforderten, „ohne Schlange“ abzustimmen; denn die Bildung von Schlangen ist Ziel der „Mittag gegen Putin“ genannten Aktion.