Für Nancy Faeser wurde es ein entspannter Rat der EU-Innenminister. Kurz vorher hatte es noch so ausgesehen, als würde sich der vereinte Ärger ihrer Kollegen über die Bundesinnenministerin ergießen, weil Deutschland die Verhandlungen über die Asylreform aufhielt. Doch mit dem Machtwort des Bundeskanzlers am Mittwoch war diese Blockade gelöst. Die Fachleute hatten in der Nacht noch über ein paar Formulierungen in jener Verordnung verhandelt, die Regeln für eine Migrationskrise definieren soll. Da ging es eigentlich nur noch um Kosmetik und darum, die politische Schmach der Grünen etwas zu lindern, die sich gegen den ganzen Ansatz gestemmt hatten.
Man sei in der Nacht schon sehr weit gekommen, verkündete Faeser, als sie am Donnerstagmorgen im Ratsgebäude eintraf, insofern rechne sie mit einem guten Ergebnis noch am selben Tag. Für Deutschland sei wichtig, dass ein Staat bei einer krisenhaften Entlastung nicht „leichtfertig“ Standards absenken könne. „Dafür haben wir noch weitere Konditionen mit rein formuliert, dass diese Staaten dann auch dafür sorgen müssen, beispielsweise, dass sie eigene Maßnahmen erst mal voll ausgeschöpft haben, bevor die EU entscheiden muss“, sagte die Ministerin von der SPD. Faeser kündigte ihren Kollegen in der Sitzung an, dass Deutschland diesem Text zustimmen werde, „obwohl wir noch weiteren Veränderungsbedarf hätten“. Formal sollten die EU-Botschafter darüber entscheiden, doch war zunächst unklar, ob Italien noch am selben Tag würde zustimmen können.
„Wir haben gute Ergebnisse“
Freilich sind mit der sich abzeichnenden Verständigung die tatsächlichen Migrationsprobleme keineswegs gelöst. Sie rückten am Donnerstag wieder in den Vordergrund, vor allem wegen der Lage in Lampedusa und des Zustroms aus Tunesien, den die EU mit einer neuen Form der Zusammenarbeit eigentlich stoppen will. Noch ist das nicht gelungen: Von den mehr als 130.000 Menschen, die in diesem Jahr schon in Italien angelandet sind, haben 90.000 an der tunesischen Küste abgelegt, der Rest in Libyen. Trotz der Absichtserklärung, die Mitte Juli unterzeichnet wurde, riss der Strom nicht ab.
Die EU-Kommission glaubt aber immer noch, dass die Kooperation mit Tunis Früchte tragen kann. „Wir haben gute Ergebnisse“, sagte Vizepräsident Margaritis Schinas am Donnerstag, womit er offenbar die laufenden Verhandlungen meinte. „Es wird nie eine sinnvolle europäische Asyl- und Migrationspolitik ohne die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern geben.“ Aus den Verhandlungen ist zu hören, dass die EU-Kommission darauf dringt, dass Tunesien den Zustrom von Migranten schon an seiner eigenen Grenze vermindert. Bisher können Personen aus dem südlichen Afrika weitgehend ohne Visum einreisen, also auch mit dem Flugzeug. Das soll sich ändern. Schwieriger dürfte die Kontrolle an der Landgrenze werden, die über weite Strecken durch die Wüste führt.
Was die Seegrenze angeht, so hat Rom zwei weitere Maßnahmen ins Gespräch gebracht. Zum einen soll Tunis seine Seenotrettungszone offiziell deklarieren, das würde die Zusammenarbeit mit den Behörden erleichtern – insbesondere was die Zuweisung von Menschen angeht, die im Meer aufgegriffen werden. Italien stuft Tunesien als sicheren Drittstaat ein. Zum anderen soll sich die EU-Marinemission „Irini“ stärker auf die Bekämpfung von Schleusern konzentrieren. Sie wurde im Jahr 2020 eingesetzt, um das UN-Waffenembargo gegen Libyen zu überwachen, die Schleuserbekämpfung steht als sekundäre Aufgabe im Mandat.
Allerdings hatten Österreich und Ungarn seinerzeit darauf gedrungen, dass die Mission kein „Pull-Faktor“ für Migranten sein dürfe. Deswegen operieren die Schiffe in einem Seegebiet, wo sie nicht in die Verlegenheit kommen, Migranten aus Seenot retten zu müssen. Andernfalls könnte es gut sein, dass nicht die Schiffe Schleuser verfolgen, sondern die Schleuser die Schiffe, um ihnen Boote mit Migranten zuzuführen – es sei denn, auch die Marinemission würde Migranten nach Tunesien zurückbringen.