Wer Zug fahren kann, kann auch arbeiten? Mit dieser Frage musste sich kürzlich das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern befassen. Geklagt hatte der ehemalige Chefarzt der orthopädischen Abteilung einer Reha-Klinik in Stralsund. Dieser hatte sein Arbeitsverhältnis gekündigt. Zwei Wochen vor Beginn seines Resturlaubs erkrankte er und fuhr von Stralsund aus zehn Stunden mit dem Zug zu seinem Familienwohnsitz nach Süddeutschland.
Dort ließ er sich von seiner Hausärztin untersuchen, die ihm starke Kopfschmerzen, eine zu erheblichen Bewegungseinschränkungen führende Muskelverhärtung und erhöhten Blutdruck diagnostizierte. Sie schrieb ihn daher rückwirkend für die Dauer von zwei Wochen, also bis zum Beginn des Resturlaubs, krank.
Ein ärztliches Attest wiegt schwer
Die Arbeitgeberin glaubte dem Chefarzt nicht und verweigerte die Zahlung des Gehalts für den Krankheitszeitraum. Der Kläger könne nicht krank gewesen sein, wenn er dazu in der Lage gewesen sei, eine zehnstündige Zugfahrt anzutreten. Auffällig sei außerdem, dass die bescheinigte Dauer der Krankheit genau an dem Tag geendet habe, an dem der Kläger seinen Resturlaub vor seinem Jobwechsel angetreten habe.
Das Gericht ist dieser Argumentation nicht gefolgt und hat dem Chefarzt sein Gehalt zugesprochen.Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sei in der Regel bereits durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen, der ein hoher Beweiswert zukomme. Die Arbeitgeberin könne diesen zwar erschüttern. Hierzu müsste sie belastbare Tatsachen vortragen, die erhebliche Zweifel an dem Bestehen der in der Bescheinigung angegebenen Krankheit hervorrufen.
Kein verdächtiger zeitlicher Ablauf
Das ist der Arbeitgeberin aus Sicht des Gerichts nicht gelungen. Die Rostocker Richter hielten das Zusammenfallen mit den letzten Wochen der Kündigungsfrist vor dem nahenden Resturlaub nicht für auffällig: Anders als in jüngeren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen war der Chefarzt hier weder postwendend mit der Eigenkündigung erkrankt noch deckten sich Krankheitszeitraum und Kündigungsfrist exakt.
Die zehnstündige Zugreise sei außerdem nicht annähernd mit den körperlichen und geistigen Belastungen einer Chefarzttätigkeit vergleichbar. Ob eine bestimmte Aktivität während einer Krankschreibung Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervorruft, hängt also immer auch von der Arbeitsaufgabe und den damit einhergehenden Belastungen ab.