Als es ans Eingemachte geht, um die Gründe also, warum Johan Marianne verlässt, mit der er zehn Jahre lang verheiratet war, kümmert er sich nicht groß darum, ob er sie dabei verletzt. Schon seit vier Jahren habe er seine Frau „loswerden“ wollen, sagt er, dass er aus dem gemeinsamen Vermögen „nichts mitnehmen“ wolle, sondern „nur verschwinden“, sich „in Luft auflösen“. Er will nicht mehr reden, keine Rücksichten nehmen, keine Familienfeste mehr feiern. Er habe keine Worte für die „Bitterkeit“, die ihn bei all dem erfülle. Die Gemeinsamkeit sei eben „zum Teufel gegangen. Und niemand weiß, warum.“
Noch weiß es niemand, vielleicht lässt sich diese Frage auch gar nicht beantworten, am wenigsten wohl von Johan und Marianne. Aber sie tasten sich vor: in Ingmar Bergmans mehr als vier Stunden langer Fernsehserie von 1973, aus der ein knapp drei Stunden langer Kinofilm und schließlich ein Theaterstück wurde. Die Geschichte beginnt mit dem Besuch eines befreundeten Paares, das vor den irritierten Gastgebern Intimstes ausbreitet und Scheidungspläne offenbart.
Es folgt die Selbstbefragung von Johan und Marianne über den Zustand der eigenen Ehe, alles noch im Bewusstsein, wie gut es miteinander klappt. Dann platzt Johan mit der Nachricht heraus, mit der Studentin Paula zusammen zu sein. Die Jahre nach der Trennung sind von Annäherungen und Entfernungen geprägt, bis beide schließlich mit anderen verheiratet sind, aber eine heimliche Affäre miteinander führen.
Die Trennung hat Bergman selbst erlebt
In seiner Autobiographie „Mein Leben“ schreibt Bergman über die Trennung von seiner damaligen Frau Ellen: „Wer sich dafür interessiert, kann das Geschehen im dritten Teil von ‚Szenen einer Ehe‘ verfolgen.“ Tatsächlich meint man die Herkunft des Drehbuchs aus eigenem Erleben des Autors deutlich wahrzunehmen, den Wunsch zu ergründen, was zur Trennung führt, den nach künstlerischer Formung des Geschehens, und die Bereitschaft, dafür dorthin zu gehen, wo es wehtut: Johan gesteht Marianne, „dass ich Lust kriege, dich zu schlagen, wenn du so manierlich dasitzt und deine Frühstückseier isst“. Die Lust am Verletzen des Gegenübers ist beiderseitig.
Sebastian Schugs Inszenierung von „Szenen einer Ehe“ am Schauspiel Frankfurt bringt die Geschichte des Paares, das voneinander wegstrebt und doch nicht voneinander lassen kann, knapp zwei Stunden lang auf eine schmal bemessene Bühne, über der ein riesiges Augenpaar hängt. Die Szenenfolge von den ersten Rissen über Trennung und Scheidung bis zur neuerwachten Zärtlichkeit, von „Guten Morgen“ bis „Gute Nacht, mein Liebling“ geht ineinander über, und neben Isaak Dentler als Johan und Sarah Grunert als Marianne ist Thorsten Drücker kontinuierlich dabei und spielt Gitarre oder Klarinette.
Zungenküsse auf Abstand
Bei einem solchen Kammerspiel kommt es auf jede Geste an, und Dentler und Grunert, die beide vorzüglich sprechen, tun das ihre, auch mimisch zu markieren, an welchem Punkt ihres Dramas die Protagonisten gerade angelangt sind. Manchmal ist das zu viel, wenn Mariannes Erstaunen, ihre Verzweiflung oder Wut gar zu lange in ihrem Gesicht stehen, und manchmal zu wenig, wenn Johans Bräsigkeit in Ärger umschlagen sollte und dabei vor allem laut wird. Andere Regieeinfälle leuchten sofort ein, wenn etwa ein zärtlicher Zungenkuss nur über einige Meter räumlichen Abstand stattfindet, was die Beziehung der beiden in ein einprägsames Bild fasst.
Das lässt durchaus Raum für dritte und vierte Personen. „Liebst du sie?“, fragt Marianne einmal nach Paula. Und Johan antwortet: „Ich frühstücke gern mit ihr.“