Auf digitale Leistungen des Staates soll es erstmals einen Rechtsanspruch geben. Dieser soll ab 2029 gelten und zielt darauf, die Verwaltung bei einzelnen Antragsverfahren durch Klagen betroffener Bürger zur Digitalisierung zu zwingen – sollte der Staat bis dahin noch nicht die notwendigen Antragsverfahren online anbieten. Darauf haben sich die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP nach einem halben Jahr Verhandlungen über den entsprechenden Regierungsentwurf aus dem Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geeinigt. Am Mittwoch soll er im Innenausschuss beschlossen werden, bevor er vom Bundestag verabschiedet werden kann.
Die Bundesregierung nimmt damit wieder Anlauf, um zahlreiche Dienstleistungen des Staates wie Anträge zu staatlichen Unterstützungsleistungen zu digitalisieren – sieben Jahre nach dem ersten Versuch, dies mit einem Onlinezugangsgesetz (OZG) zu erreichen. Die Neuauflage soll nun die digitale Wende bringen – und zwar möglichst vor Ablauf der Frist, nach der die Bürger den Gerichtsweg beschreiten können.
Der Fokus des neuen Gesetzes liegt dabei auf Open-Source-Anwendungen, verpflichtenden Standards für den Onlinezugang sowie der Einführung eines „Datenschutzcockpits“, mit denen die Bürger die Kontrolle über ihre Daten bekommen. Es soll im Rahmen der Registermodernisierung entstehen, also im Zuge der Digitalisierung und Vernetzung der Daten, die der Staat über seine Bürger speichert. Sie sollen künftig einsehen können, welche Daten Behörden von ihnen haben und austauschen.
In vielen Fällen braucht es keine Unterschrift mehr
„Damit ist endlich geregelt, wie der digitale Staat im Detail gebaut werden soll“, sagte die Digitalpolitikerin Misbah Khan (Grüne). „Das spart Geld und Zeit und sorgt für Transparenz und Planungssicherheit.“ Einen großen Unterschied werde zudem die Abschaffung des Schriftformerfordernisses machen, sagte der SPD-Abgeordnete Robin Mesarosch. Dadurch wird in vielen Fällen auf die Unterschrift verzichtet, die Anträge müssen also nicht mehr ausgedruckt und unterschrieben werden. So können behördliche Anliegen künftig häufiger als bisher vollständig elektronisch erledigt werden.
Bund, Länder und Kommunen haben sich im Jahr 2017 noch unter der schwarz-roten Bundesregierung zum Ziel gesetzt, bis Ende 2022 rund 600 Verwaltungsdienstleistungen online zur Verfügung zu stellen. Damit sollen nicht nur den Bürgern mühsame Gänge zum Amt erspart bleiben, auch die Arbeit in den Behörden soll wesentlich einfacher werden, wenn Anträge auf Eltern- oder Wohngeld, Kfz-Zulassungen, Führerscheine oder auch die Verlängerung des Personalausweises digital erledigt werden können.
Die erste Version des OZG hat einen ersten Schwung in die schwierige Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen gebracht, aber auch Schwachstellen offenbart. Anders als viele Staaten Europas hinkt Deutschland noch immer seinen selbst gesteckten Zielen hinterher. Das Hauptproblem: Für viele Dienstleistungen gibt es schon digitale Lösungen, allerdings sind die häufig noch nicht flächendeckend ausgerollt. Einige Bundesländer und Kommunen tun sich mit der Umsetzung besonders schwer. Es fehlt an einheitlichen Standards und manchmal schlicht an der Einsicht und einem sinnvollen Prozessmanagement vor Ort.
Auch der Bundesrat muss noch zustimmen
Hinzu kommen finanzielle Sorgen, die trotz vielfacher Beteuerungen selbst von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der aktuellen Haushaltskrise für zusätzliche Hürden sorgen: Zuletzt hat das Bundesinnenministerium die kostenlose Möglichkeit gestrichen, die PIN für den elektronischen Personalausweis zurücksetzen zu lassen, sollte sie einmal verloren gegangen sein.
Die Onlinefunktion des regulären Personalausweises, den jeder deutsche Staatsangehörige hat, kann inzwischen schon vielfältig auch bei privaten Banken, Krankenkassen oder zur Identifizierung bei Onlinetätigkeiten genutzt werden, doch nur 14 Prozent der Bürger tun dies. Die kostenlose Möglichkeit hätte einen Großteil des mageren Budgets im Bundesinnenministerium aufgezehrt, weil schon die aufwendige persönliche Zustellung der neuen PIN rund 15 Euro pro Brief kostet.
Das verbliebene Geld muss jedoch jetzt für die Weiterentwicklung der digitalen Ausweismöglichkeit genutzt werden. Das Bundesinnenministerium arbeitet zurzeit an einer kostenpflichtigen Lösung, im Moment kann die PIN nur vor Ort beim Bürgeramt zurückgesetzt werden. Vorschläge aus den Reihen der FDP, die Zustellung der PIN weniger aufwendig und deshalb kostengünstiger zu gestalten, würden allerdings die hohe Sicherheitseinstufung des digitalen Ausweises gefährden.
Nach der Verabschiedung im Bundestag muss auch der Bundesrat zustimmen. Die Länderkammer hatte zuletzt einige Vorhaben der Ampelregierung gestoppt. Mit einem solchen Manöver rechne man jetzt nicht, weil man schon seit Monaten im Austausch mit den Ländern stehe und zahlreiche Vorschläge berücksichtigt habe, sagte die SPD-Politikerin Dunja Kreiser. Um sich Ärger mit den Ländern zu ersparen, umfasst der Rechtsanspruch nur Bundesdienste. Wie der „Tagesspiegel Background“ berichtete, sollen zudem Leistungen, bei denen eine digitale Bereitstellung „technisch und rechtlich“ unmöglich ist oder die kaum genutzt werden, nicht eingeklagt werden können. Auch Schadenersatz soll es nicht geben.